Die EU hat untersucht, wie Griechenland mit den Flüchtlingen fertig wird. Grundsätzlich funktionierten die Registrierzentren, die helfen sollten, den Andrang von Flüchtlingen auf den Ägäis-Inseln in geordnete Bahnen zu lenken. Geforderte Verbesserungen gibt es aber viele. Doch die sind nicht so schnell in Sicht. Die überfüllten Lager sind vor allem für unbegleitete Minderjährige ein grosses Problem, sagt Journalistin Corinna Jessen.
Mir haben Mädchen immer wieder erzählt, dass sie sich aus Angst vor Übergriffen nachts kaum auf die Toilette trauen.
SRF News: Unter den Flüchtlingen auf den Ägäis-Inseln sind viele unbegleitete Minderjährige. Wie ist ihre Situation?
Corinna Jessen: Abgesehen von der psychischen Belastung, die eine Flucht für ein auf sich gestelltes Kind ohnehin schon bedeuten dürfte, erhalten sie hier nur bedingt die nötige professionelle Zuwendung. Es fehlt an Ansprechpartner, die ihre Sprache sprechen und Anleitungen, wie sie ihren Asylantrag stellen müssen. Meist mangelt es auch an einer altersgerechten Unterbringung. Die Kinder und Jugendlichen werden oft zusammen mit fremden Erwachsenen untergebracht. Vor allem für Mädchen ist es sehr schwierig, dass sie sich genügend von den männlichen Mitbewohnern abgrenzen können. Mir haben Mädchen immer wieder erzählt, dass sie sich aus Angst vor Übergriffen nachts kaum auf die Toilette trauen.
Inwiefern sind denn diese jungen Flüchtlinge solchen Übergriffen besonders ausgesetzt?
Die Harvard-Universität hat gerade eine alarmierende Studie vorgelegt, in der die Forscher von einer Epidemie sexueller Ausbeutung und Misshandlung von Flüchtlingskindern in Griechenland sprechen. Um ihre Schulden bei Schleppern zu bezahlen, bieten sie sich sowohl in den Grossstädten wie auch in der Provinz für durchschnittlich 15 Euro an. Vorrangig sind das Jungen aus Afghanistan, Syrien, Irak und dem Iran. Oft könnten die Jugendlichen ihre Schulden dennoch nicht abbezahlen und verfallen dann auch noch der Drogensucht. Die Kinder und Jugendlichen haben also viele Probleme und viele von ihnen dürften tatsächlich Opfer von sexueller Gewalt werden.
Die EU-Prüfer fordern in ihrem Bericht, dass diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge separat untergebracht werden – und einen schnelleren Zugang zum Asylverfahren erhalten. Reicht das, um die Lage der Jugendlichen zu verbessern?
Die Prüfer schlagen auch vor, in jedem Hotspot und Lager einen Kinderschutzbeauftragten einzusetzen. Das wäre zumindest ein Anfang, um eine Anlaufstelle zu bieten. Natürlich muss der Betreffende auch die jeweilige Sprache sprechen oder über ausreichend geschulte Dolmetscher verfügen.
Um ihre Schulden bei Schleppern zu bezahlen, bieten sie sich für 15 Euro an.
Darüber hinaus muss es aber auch genügend Einrichtungen geben, die die Kinder von der Strasse holen und dafür sorgen, dass sie ausreichend Zuwendung erhalten und versorgt werden. Vor allem: umfassender in Beschulungsprogramme und Sprachunterricht integriert werden. Man muss betonen, dass es eine ganze Anzahl solcher Einrichtungen gibt. Sie bemühen sich auch wirklich sehr. Aber es sind zu wenige. Meist werden sie von privaten Hilfsorganisationen betrieben, die schnell an ihre Grenzen stossen. Es bedarf also auch hier einer besseren Koordination.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.