Erste Berichte von sexuellem Missbrauch gegen den Armenpriester wurden im Juli 2024 von Emmaüs publiziert, weitere im September. 24 Fälle hat eine speziell dafür eingerichtete Anlaufstelle auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft und versichert nun: «Wir glauben den Betroffenen, die Anschuldigungen sind kohärent und wir konnten Daten und Orte überprüfen», so Tarek Daher, der Vorsteher von Emmaüs Frankreich im französischen Fernsehen.
Nun wolle man Konsequenzen ziehen und Statuen und Bilder von Abbé Pierre aus den Lokalen entfernen. Die verschiedenen Emmaüs-Organisationen und besonders die Stiftung Abbé Pierre, sollen einen anderen Namen bekommen, um nicht mehr direkt mit dem Abbé Pierre in Verbindung gebracht zu werden.
Auch eine Expertenkommission werde man ins Leben rufen, um volle Transparenz zu schaffen über die Vorkommnisse und herauszufinden, wieso diese Taten erst nach dem Tod von Abbé Pierre bekannt wurden.
Juristisch kann der entzauberte Wohltäter Henri Grouès nicht mehr belangt werden, da er 2007 verstorben ist und die Fälle zudem verjährt sind. Die französische Kirche will aber ihre Archive öffnen, damit Experten nachforschen können, ob es Hinweise auf das übergriffige Verhalten von Abbé Pierre gegeben hat.
Der Abbé Pierre, ein «schlimmer Sünder»
Ähnliche Reaktionen kommen auch aus verschiedenen Städten Frankreichs: Der Name Abbé Pierre soll von Schulen, Strassen und Parks entfernt werden und auch die Abbé-Pierre-Gedenkstätte in Esteville ist geschlossen, bis Klarheit über die künftige Verwendung besteht.
Auch Papst Franziskus hat sich in einer Pressekonferenz am Freitag zu den Vorfällen geäussert: Obwohl der Abbé Pierre viel Gutes getan habe, sei er ein schlimmer Sünder. Es sei gut, dass die Fälle nun bekannt seien, denn sexueller Missbrauch sei dämonisch, er zerstöre die Würde der betroffenen Person.
Notsituationen ausgenutzt
Der Abbé Pierre soll zwischen 1950 und 2000 mehrere Frauen und auch Minderjährige sexuell belästigt haben. In den meisten Fällen ist von unerwünschten Berührungen der Brüste und aufgedrängten Zungenküssen die Rede oder von anzüglichen Bemerkungen.
Eine mittlerweile verstorbene Frau berichtete in einem Brief an die Kirche davon, dass sie 1989 vom Abbé Pierre gegeisselt worden sei und ihn oral befriedigen musste. Er habe ihre Notsituation ausgenutzt und sie mehrmals sexuell missbraucht.
Der Abbé Pierre wurde 17-mal zur beliebtesten Person Frankreichs gewählt und bis nach seinem Tod als Nationalheld verehrt. Der «Vater der Obdachlosen» hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Emmaüs-Gemeinschaft gegründet, die sich heute in mehr als 30 Ländern auf der ganzen Welt gegen Armut und Obdachlosigkeit einsetzt.