Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz wird von manchen als «Konferenz der Angst» bezeichnet. Schuld daran ist nicht nur das aggressive Regime im Kreml, sondern ebenso die Möglichkeit, dass Donald Trump bald in den USA an die Schalthebel zurückkehrt. Ein Mann, dem die traditionellen Partnerschaften der USA herzlich egal sind, nicht zuletzt jene mit Europa.
Das führt unweigerlich zur Frage: Kann sich Europa ohne die USA überhaupt verteidigen – besonders im Nuklearbereich? Oder braucht es, wird auf einmal gefragt, eine europäische Atombombe?
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigt sich irritiert über diese Debatte: «Es existiert eine Nato-weite nukleare Abschreckung, welche die europäische Sicherheit garantiert. Wir sollten auch weiterhin darauf setzen.»
Diese Abschreckung basiert auf den in mehreren europäischen Ländern stationierten taktischen US-Atombomben und letztendlich auf dem gesamten strategischen Nukleararsenal der Vereinigten Staaten. Doch was, wenn die USA diesen Schutzschirm unter einem Präsidenten Donald Trump zuklappen sollten? Bräuchte dann der europäische Teil der Nato, ja ganz Europa ein eigenes Atomarsenal?
Kontroverse Debatte im deutschen Kabinett
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius lehnt eine solche Debatte dezidiert ab, wie er in der ARD erklärte: «Darüber diskutiert man nicht einfach so auf Zuruf, aufgrund einer Äusserung im amerikanischen Wahlkampf. Wir sollten nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren.» Sein Kabinettskollege, Finanzminister Christian Lindner, treibt ebendiese Debatte hingegen voran. Kontrovers verläuft die Diskussion auch in anderen Nato- und EU-Ländern. Ein dezidierter Befürworter solcher Überlegungen ist etwa Polens neuer Regierungschef Donald Tusk.
Jetzt schon schützen die französischen Nuklearstreitkräfte Europa mit.
Der französische Präsident Emmanuel Macron wiederum schlägt vor, darüber nachzudenken, ob das französische Atomarsenal ganz Europa schützen solle: «Die Sicherheitsinteressen Frankreichs und Europas sind deckungsgleich. Jetzt schon schützen die französischen Nuklearstreitkräfte Europa mit.» Und Frankreichs Aussenminister Stéphane Séjourné findet, Europa «braucht eine zusätzliche Lebensversicherung». Ins Spiel bringen manche auch die britischen Atomstreitkräfte, die allerdings deutlich weniger Handlungsoptionen bieten als die französischen.
Allerdings bleiben Schlüsselfragen völlig ungeklärt. Wer etwa sässe nach einer Europäisierung am roten Knopf? Macron? Oder die EU-Führung, Charles Michel und Ursula von der Leyen, was sich indes niemand so recht vorstellen kann? Welches wären die Kommandostrukturen? Wo befänden sich die Waffen? Und: Wer trüge die gewaltigen Zusatzkosten von Hunderten von Milliarden Euro?
Die Gefahr eines Atomkriegs war nie mehr seit dem Kalten Krieg so gross wie gerade jetzt.
Für brandgefährlich und verfehlt hält diese Debatte Melissa Parke. Sie ist Direktorin von Ican, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten internationalen Kampagne für ein Atombombenverbot. «Mehr Nuklearwaffen machen die Welt gewiss nicht sicherer», sagt die frühere australische Entwicklungsministerin gegenüber SRF: «Die Gefahr eines Atomkriegs war nie mehr seit dem Kalten Krieg so gross wie gerade jetzt. Deshalb müssten wir nun dringend über atomare Ab- und nicht Aufrüstung reden.»
Doch die Chancen, dass das passiert, sind gering. Wer Abrüstung fordert, ist in der Defensive. Atombomben zu besitzen, gilt vielerorts wieder als notwendig, nicht nur in Nordkorea oder im Iran, sondern nun auch wieder in Europa.