Das Wichtigste in Kürze
- Nur Misuari ist der Gründer der grössten Rebellengruppe, der Moro National Liberation Front (MNLF).
- In den letzten Jahren war Misuari untergetaucht, weil ein Haftbefehl gegen ihn vorlag.
- Präsident Rodrigo Duterte hat ihn nun zu einem wichtigen Partner für Friedensgespräche mit den Muslimen im Land erklärt.
Bescheidenheit gehört nicht zu den Charaktereigenschaften von Nur Misuari. Er nennt Präsident Duterte seinen «engen Freund» und sagt, dass er noch heute 100'000 bewaffnete Männer kommandiere. In Wahrheit sind es wahrscheinlich ein paar tausend Teilzeit-Rebellen. Misuari mag Sätze wie: «Kugeln treffen mich nie. Sie scheuen vor mir zurück, deshalb nennen mich alle einen Wundermann.»
Tatsächlich hat Misuari mehrere Mordanschläge überlebt. Er hat Jahre im Dschungel und im Gefängnis verbracht. Nun sitzt der Rebellenführer mit zwanzig Gefolgsmännern und Waffenbrüdern in einem billigen Hotel in Manila.
«Mein Leben ist wunderlich, geprägt von vielen Brüchen. Ich verbrachte viel Zeit im Nahen Osten», erzählt der 77-jährige, drahtige Rebellenchef. Er habe sich immer wieder Schutz und Rat bei arabischen Führern geholt.
Misuari ist Sohn eines Fischers und hat in Manila Politikwissenschaften studiert und gelehrt. An der Universität wurde er auch politisiert. Vor mehr als 50 Jahren hat Misuari auf der südlichen Hauptinsel Mindanao die Moro National Liberation Front (MNLF) gegründet.
Duterte bezieht ihn als Vermittler mit ein
Nun liegen Jahrzehnte des bewaffneten Unabhängigkeitskampfs mit tausenden Toten und mehreren gescheiterten Friedensverhandlungen hinter ihm. Doch jetzt, so glaubt er, sei der Friede endlich in Griffnähe. Dies dank seiner neuen Rolle als Vermittler und dank dem neuen Präsidenten Rodrigo Duterte.
«Duterte ist der Mann, der uns Frieden bringen wird, weil er von Mindanao ist. Ich bin sicher, bald wird ein Friedensabkommen unterzeichnet sein. Ich sehe keine wirklichen Hindernisse mehr», sagt Misuari.
Zersplitterte Rebellengruppen
Doch am Ende hängt der Frieden nicht nur von dem Privatabkommen zweier älterer Männer ab, auch wenn der eine Präsident und der andere Rebellenchef ist.
Denn über die vergangenen Jahrzehnte haben sich die Rebellengruppen zersplittert. Einige wollen den Kampf für Unabhängigkeit weiterführen, andere haben bereits mit der Vorgängerregierung einen Friedensvertrag für mehr Autonomie ausgehandelt.
Noch komplexer ist der Konflikt, weil auch Terrorgruppen wie Abu Sayyaf auf Mindanao aktiv sind. Diese Gruppierung, die der Terrormiliz Islamischer Staat die Treue geschworen hat, macht mit Entführungen ein lukratives Geschäft. Dieses wird sie kaum aufgeben wollen.
Es war die Armee, die die Muslime aus der Stadt verjagen wollte und ihre Häuser niederbrannte. Das ist unser Land, besetzt von Christen!
Diese Gruppen sollen nun am Konferenztisch zusammenfinden und in Zukunft friedlich zusammenleben. Misuari bleibt optimistisch, es gehe nun nicht mehr um Friedensverhandlungen. «Wir müssen die alten Verträge seit 1976 in ein Dokument giessen.» Gemeint sind das Tripolis-Abkommen, das Jakarta-Friedensabkommen und das Abkommen von Jeddah.
«Daraus machen wir einen Gesetzesentwurf, der vom Kongress verabschiedet werden muss und so bekommen wir die föderale autonome Republik Bangsamoro.» Zu Bangsamoro gehören Gebiete, die einst Sultanate waren, dann von den spanischen und amerikanischen Kolonialherren übernommen und schliesslich an die Zentralregierung im katholischen Manila abgetreten wurden.
Diese politische Hoheit haben die lokalen Bewohner, die Bangsamoro, nie akzeptiert. Für die Zentralregierung stand aber die Unabhängigkeit nie zur Verhandlung.
Falls der Friedensprozess diesmal zum Abschluss kommen sollte, würden die Gebiete und ihre reichen Bodenschätze von den Bangsamoro selbst verwaltet werden. Derzeit gehen die Erträge aus Gold, Kupfer und Nickel, die sich auf Mindanao finden, vor allem an private Firmen und an die Zentralregierung.
Rebellenführer sieht sich als Opfer
2013 besetzten Misuaris Rebellen die Stadt Zamboanga und kämpften gegen die Armee. Mit der Besetzung rang Misuari um Aufmerksamkeit. Als Folge mussten mehr als hunderttausend Zivilisten fliehen, mehr als hundert Personen kamen ums Leben.
Kugeln treffen mich nie. Sie scheuen vor mir zurück, deshalb nennen mich alle einen Wundermann.
Misuari wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Doch dieser sieht er sich als Opfer und dreht den Spiess um: «Immer beschuldigen sie mich! Sie haben mich sogar mehr als sechs Jahre ins Gefängnis gesteckt. Aber es war die Armee, die die Muslime damals aus der Stadt verjagen wollte und ihre Häuser niederbrannte. Das ist unser Land, besetzt von Christen!», entrüstet sich der alte Mann.
Die jahrelange Vernachlässigung durch die Zentralregierung und eine oft brutale Unterdrückung durch die Armee frustriert viele Muslime im Süden.
Misuari muss im Land bleiben
Der alte Kriegsveteran Misuari wirkt müde und bereit für den Frieden. Noch im Januar will Präsident Duterte mit den Friedensverhandlungen fortfahren. Nur Misuari und seine Männer werden dabei sein. Aus dem Land ausreisen darf Misuari allerdings nicht. Nicht alle sehen über seine Vorgeschichte so locker hinweg wie Präsident Duterte.