Was als lokaler Konflikt in der Ukraine begann, ist zu einem ausgewachsenen Konflikt mit Eskalationspotenzial geworden. Die politische Rhetorik auf höchster Ebene verschärft sich seit dem Absturz der Passagier-Maschine von Tag zu Tag.
Jede Seite will politisch Kapital aus der Krise schlagen – das politische Machtspiel ist in vollem Gange. USA, Russland, EU – wer verfolgt welche Strategie? Der deutsche Politikwissenschaftler Michael Lüders nimmt in der «Tagesschau» Stellung.
Lüders zur Taktik von Obama:
«Barack Obama geht es darum, die Konfrontation mit Russland aufrecht zu erhalten. Wir haben seit mehreren Monaten eine scharfe Zuspitzung der Beziehung zwischen den USA und Russland.
Die Ukraine ist neben Georgien und Moldau eines der Problemfelder, wo sich dieser Konflikt bricht.
Der Abschuss der MH17 ist natürlich ein hervorragender Aufhänger, um diesen Konflikt noch einmal in aller Schärfe zu beleuchten. Die Amerikaner wollen die Russen in die Pflicht nehmen und sie wollen Russland politisch und diplomatisch isolieren, obwohl die Urheberschaft natürlich formal juristisch noch nicht ganz klar feststeht.»
Lüders zur Rolle der EU:
«Die EU macht sich zum Handlanger der USA. Doch die Interessen der Europäer gegenüber der Ukraine sind ganz andere, als die der Amerikaner. Vor allem können die Europäer kein Interesse daran haben, dass die Ukraine in einem blutigen Bürgerkrieg versinkt.
Es ist auch nicht sinnvoll, Russland zu isolieren. Die Europäer hätten hier ein grösseres Interesse auf die Bremse zu treten, aber sie folgen der Amerikanischen Spur.
Und das Ergebnis ist, dass wir Europäer am Ende den politischen und auch finanziellen Preis für diese Krise bezahlen müssen, während die Amerikaner die Nutzniesser dieser Konfrontation sind.»
Lüders zum Machtpoker von Putin:
«Wladimir Putin will natürlich Russland aus der Schusslinie nehmen. Es spricht vieles dafür, dass die Raketen von Rebellen mit russischer Bewaffnung abgefeuert wurden.
In diesem Fall wird natürlich Russland international politisch vorgeführt werden, allen voran von den USA.» Dabei gehe es dann letztlich nicht mehr um des Todes der unschuldigen Passagiere, sondern um Macht und Geopolitik.
Man dürfe in dem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass die Amerikaner 1988 ein iranisches Verkehrsflugzeug mit 288 Passagieren abgeschossen hätten, so Lüders. «Es braucht immer einen geopolitischen Rahmen, damit eine solche Tragödie zu einem politischen Konfliktfall wird.»