Die Nacht bricht über Las Vegas herein. Noch keine 24 Stunden ist es her, seit ein Täter aus dem Fenster eines Casino-Hotels 59 Besucher eines Country-Konzerts tötete und über 520 verletzte. Der Satz, den ich heute immer wieder höre: «Diese abscheuliche Tat wird die Stadt verändern. Der 1. Oktober 2017 wird sich in unsere kollektive Erinnerung einbrennen.»
Gespenstische Ruhe im Hotelzimmer
Um zehn Uhr morgens komme ich in Las Vegas an. Um halb elf bin ich im Mandalay Hotel, von wo aus der Täter etwa 15 Minuten lang auf das Konzertgelände auf der anderen Strassenseite schoss. Zu meinem Erstaunen habe ich Zutritt. Die Polizei hat das Hotel kurz zuvor freigegeben. Es herrscht wenig Betrieb in der Lobby. Bedrückung, Schock, Verzweiflung spüre ich, wenn ich mit Hotelgästen und Touristen spreche. Die meisten haben die Gewehrsalven gehört, harrten voller Angst in ihren Zimmern aus.
Von draussen sehe ich das Fenster im 32. Stock. Der Schütze hat es zerschlagen bevor er abdrückte. 19 Gewehre hatte er dabei, zum Teil automatische Waffen. Der Zimmervorhang weht im Wind, es herrscht gespenstische Ruhe. Es ist surreal. Schwierig, im Kopf zusammenzubringen, dass ich da stehe, wo vor wenigen Stunden ein Kugelhagel hunderte Menschen traf, fast 60 tötete. Alles unschuldige Musikfans.
«Das war wie im Krieg!»
Nach meiner Live-Schaltung für «10vor10» treffe ich zwei einheimische Studentinnen. Sie bieten gratis Wasser und Essen an. Im Radio hätten sie gehört, dass die Menschen in diesem Chaos nicht vorwärts kämen. So fahren sie den ganzen Tag Menschen von A nach B, sie wollen einfach nur irgendwie helfen. Sie nehmen mich mit zum Konzertgelände, aber es ist noch weiträumig abgesperrt.
Der Polizeioffizier ruft mir zu: «Not cleared yet» und eine Konzertbesucherin wird mir später sagen: «Das war wie Krieg, überall Verletzte. Und während wir rauskamen, mussten Dutzende Polizisten und Rettungssanitäter in die andere Richtung, rein ins Massaker».
«Es war mein Buddyboy - mein Lieblingsenkel»
Das Convention-Center von Las Vegas ist meine nächste Station. Hier werden Angehörige von Opfern betreut. Unverletzte Konzertbesucher auch, die einigermassen zur Ruhe kommen wollen. Viele zittern am ganzen Leib, wenn sie von der schlimmsten Viertelstunde ihres Lebens erzählen.
Draussen steht eine Mutter aus Denver, Colorado, den Medien Red und Antwort. Sie war mit ihrem Sohn (23) am Konzert. Gemeinsam rannten sie weg. Bis eine Kugel ihn in die Brust traf und er zusammenbrach und starb. Auch ihr Vater ist da. Er nannte ihn «Buddyboy». Das war der Kosename für seinen Lieblingsenkel.
«Bringt nichts mehr, wir haben genug»
Seit dem frühen Morgen bringen Anwohner Wasser und Essen zum Convention-Center und spenden Blut in den umliegenden Spitälern. Ein junger Mann in einem Pick-up-Truck sagt mir, er wolle einfach nur helfen, Wasser bringen sei das Einzige was er tun könne. Er hat sicher 500 Pet-Fläschchen auf der Ladefläche seines Fords F-150.
Die Koordinatorin vor Ort sagt mir, die Solidarität der Bevölkerung sei unglaublich, «overwhelming» (überwältigend). Las Vegas sei vereint, komme zusammen. Über die Medien lässt sie dann verlauten: «Danke Las Vegas, danke euch allen, aber wir haben genug, bringt bitte nichts mehr. Betet für uns.»
Gebetet wird drei Kilometer weiter nördlich an der offiziellen Gedenkveranstaltung der Stadt. Politiker mit Vertretern aller Religionen. Ein kleiner Chor singt. Der afroamerikanische Pastor hat am meisten Resonanz als er mit fast singender Stimme ruft, das Schlechte werde sich nie durchsetzen. «Weder in Las Vegas noch sonst wo auf der Welt.»
«Amen» rufen viele Anwesende, «Amen».