Jean-Marie Le Pen, der Gründer der rechtsextremen Partei Front National, hat mit seiner Partei die extreme Rechte in Frankreich geprägt. Er im Alter von 96 Jahren gestorben. Politologe Joseph de Weck ordnet seine politische Hinterlassenschaft ein.
SRF News: Wie hat Jean-Marie Le Pen die Politik in Frankreich konkret geprägt?
Joseph de Weck: Er hat sozusagen das Fundament gelegt für eine Renaissance der nationalistischen Rechten oder von Rechtsaussen in Frankreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dieses Lager total diskreditiert, weil mit Philippe Pétain die Rechtsnationale in Frankreich undemokratisch an die Macht gekommen ist.
Anfangs hatte der Front National Leute als Wähler, die Pétain unterstützten oder gegen de Gaulle waren, weil de Gaulle Algerien in die Unabnhängigkeit entliess.
Le Pens Lebenswerk ist es, dieses politische Lager wieder in die Politik hineinzubringen, indem er den Front National gegründet hat. Anfangs hatte der Front National Leute als Wähler, die Pétain unterstützten oder gegen de Gaulle waren, weil de Gaulle Algerien in die Unabhängigkeit entliess. Doch gegen Ende seines Lebens schaffte es Le Pen, diese Partei weiter gegen die Mitte zu öffnen. Er tat dies hauptsächlich mit einem xenophoben Programm, das alle wirtschaftlichen Probleme auf die Migration münzte.
Jean-Marie Le Pen hat es im Jahr 2002 überraschend in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl geschafft, hat aber gegen Jacques Chirac verloren. Warum kam Jean-Marie Le Pen nie aus seiner politischen Nische heraus?
Er schaffte es nie, weil er ein Mann seiner Zeit war. Er war im Indochinakrieg, er war in Algerien im Krieg, wie das viele aus Frankreich waren und er hat womöglich im Algerienkrieg sogar gefoltert. Le Pen war noch bestimmt von den Kämpfen über die historische Deutung Frankreichs.
Die Frage, ob er gefoltert hat oder nicht, ist etwas, in das ihn seine ganze Karriere lang begleitet hat.
Er war Antigaullist, obwohl de Gaulle der historische Vater der Fünften Republik und eine allseits anerkannte Person ist. Le Pen wurde mehrmals für antisemitische und rassistische Parolen verurteilt.
Wollte er gar nicht aus dieser Nische herauskommen?
Vielleicht war er mehr ein Ideenkämpfer, der versucht hat, nicht unbedingt an die Macht zu kommen, aber politische Debatten zu prägen. Aber es ist wahrscheinlich, dass er über seine Biografie nicht herausgekommen ist. Die Frage, ob er gefoltert hat oder nicht, ist etwas, in das ihn seine ganze Karriere lang begleitet hat.
Es ist eine Mischung aus Linkskapitalismus und Protektionismus, die Marine Le Pen weiterführt.
Seine Tochter Marine Le Pen tritt moderater auf. Ist sie es tatsächlich?
Ja, sie macht keine offensichtlich rassistischen Äusserungen. Sie hat ihren Vater aus der Partei geworfen und öffentlich mit ihm gebrochen. Doch inhaltlich liegt sie nahe an ihrem Vater. Der Rassemblement National, wie die Partei heute heisst, hat noch zwei seiner Ideen als Grundpfeiler: die Migration als das Grundübel aller Probleme, die es in der französischen Politik gibt, und zweitens eine Wirtschaftspolitik, die protektionistische Elemente und zum Teil auch linke Elemente beinhaltet. Es ist eine Mischung aus Linkskapitalismus und Protektionismus, die Marine Le Pen weiterführt.
Marine Le Pen will erneut Frankreichs Staatspräsidentin werden. Wie gut stehen ihre Chancen?
Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind erst für den Frühling 2027 angesetzt. Es ist zum ersten Mal der Fall, dass ihre Wahl überhaupt eine seriöse Möglichkeit darstellt. Man sollte aber nicht denken, dass es irgendwie einen Automatismus gibt.
Das Gespräch führte Romana Kayser.