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Menschen stehen hinter einer katalonischen Flagge und lachen.
Legende: Die Unabhängigkeitsbefürworter sind definitiv im Aufwind: Katalonien nach den Wahlen. Imago

Nach den Wahlen in Katalonien «Der Konflikt dürfte uns noch jahrelang beschäftigen»

Die spanische Zentralregierung zieht bis zum Wochenende tausende Polizisten aus Katalonien ab. Einschätzungen von Martin Durrer, Leiter der Auslandredaktion von Radio SRF.

SRF News: Bedeutet der Abzug der Polizisten, dass Madrid den Separatisten Zugeständnisse macht?

Martin Durrer: Nein, das bedeutet es nicht. Dass die Polizisten abziehen, ist im Moment vor allem ein symbolischer Akt. Er soll dem Eindruck entgegenwirken, dass Katalonien ein besetztes Land ist. Die Separatisten haben die Präsenz von 10'000 bis 12'000 Polizisten aus anderen Regionen immer so gedeutet, was auch naheliegend war.

Mit Artikel 155 der spanischen Verfassung, der eine Intervention der Madrider Regierung erlaubt, gibt es aber nur einen thematischen Zusammenhang, nicht einen juristischen. Das heisst, die Polizisten kamen am 1. Oktober, um eine Abstimmung zu verhindern. Artikel 155 wurde aber erst rund einen Monat später ausgelöst.

Nun muss in Katalonien eine neue Regierung her, und die Separatisten haben die Mehrheit im Regionalparlament in Barcelona. Muss sich Madrid also weiterhin mit den Separatisten auseinandersetzen?

Davon müssen wir ausgehen. Zahlenmässig gibt es keine Alternative zu einer separatistischen Mehrheit. Die drei separatistischen Parteien hatten zwar während des Wahlkampfs Meinungsverschiedenheiten. Sie werden sich zusammenraufen müssen. Aber das werden sie tun. Ich glaube nicht, dass sie ihren Sieg mit internen Streitereien verspielen wollen. Daher würde ich davon ausgehen, dass Madrid weiter mit Leuten zu tun hat, die die Unabhängigkeit befürworten.

Die Separatisten haben aber ein Problem: Carles Puigdemont ist in Brüssel, und sollte er nach Barcelona kommen, würde er verhaftet. Wer soll denn Chef einer neuen separatistischen Regionalregierung werden?

Die Separatisten hoffen natürlich, dass es noch eine Möglichkeit gibt, dass Puigdemont zurückkehrt, dass er nicht verhaftet wird. Daran glaube ich aber nicht. Voraussichtlich bleibt keine andere Möglichkeit, als dass sich die Unabhängigkeitsparteien auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin für eine Übergangszeit einigen, der oder die zurücktreten würde, wenn Puigdemont wiederkommt, wenn er wieder Spielraum hat und politisch agieren kann. Es ist allerdings nicht sicher, dass er das kann.

Gibt es irgendwelche Anzeichen, dass die Zentralregierung in Madrid vom harten Kurs abkommt?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Erstens hat die konservative Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy einen harten rechten Flügel, der dazu nie Hand bieten würden. Zweitens – und das ist mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger – sind die Ciudadanos bei den Wahlen in Katalonien stärkste Einzelpartei geworden. Sie werden auch in Madrid sehr selbstbewusst auftreten und gegen irgendeine Art von Entgegenkommen gegenüber den Separatisten Druck machen.

Die Katalonien-Krise dürfte uns also noch eine Weile beschäftigen. Auch über das neue Jahr hinaus?

Die Krise wird uns noch jahrelang beschäftigen. Im Wahlkampf habe ich mit vielen Leuten aus dem Unabhängigkeitslager geredet. Der gemeinsame Nenner zwischen all diesen Leuten ist, dass sie die Unabhängigkeit wollen, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten über den Weg zu diesem Ziel gibt.

Madrid muss Antworten finden, sonst wird sich der Konflikt massiv verschärfen.
Autor: Martin Durrer Leiter der SRF-Auslandredaktion

Ich glaube, die absolute Mehrheit im Regionalparlament, die sie errungen haben, hat damit zu tun, dass diese Idee überleben soll, gar nicht unbedingt mit den Köpfen. Madrid muss sich darauf einstellen, hier politische Antworten zu finden. Sonst wird sich der Konflikt massiv verschärfen.

Das Gespräch führte Monika Glauser.

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