Ein langes Kapitel geht zu Ende. Seit 1984 ist die «Open Society Foundation» in Ungarn tätig, da war das Land noch kommunistisch. Die Stiftung setzte sich für Redefreiheit ein und unterstützte Regimekritiker. Sie verteilte Schulkindern Milch und stattete Spitäler aus. Später förderte sie den Übergang hin zu einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Ein 26-jähriger Student namens Viktor Orban konnte dank eines Soros-Stipendiums in Oxford die Geschichte des englischen Liberalismus studieren – ein Studium, das er nach einem Jahr abbrach für einen Sitz im ungarischen Parlament. Jetzt hat der Zögling seinen Förderer vertrieben.
Kreuzzug gegen alles Liberale
Seine liberalen Ansichten hat Orban schon vor über zwanzig Jahren gegen rechtskonservative ausgetauscht. Doch inzwischen führt er einen gnadenlosen Kreuzzug gegen alles Liberale, und seine Mittel sind gefährlich.
Zurecht klagt die «Open Society Foundation» in ihrer heutigen Pressemitteilung, dass die Regierung von Viktor Orban, den Juden Soros und ihre Partner, mit einer 100 Millionen Euro teuren Hasskampagne angegriffen habe, die antisemitische Züge trug. Die Orban-freundlichen Medien Ungarns verleumden Mitarbeiter der Stiftung und veröffentlichen neuerdings schwarze Listen angeblicher Staatsfeinde, da findet man auch die Namen von Angestellten der Open-Society-Foundation.
Hochschule in Gefahr
Die Stiftung verlässt nun Budapest. Die Stadt verliert über 100 Arbeitsplätze. In der Schwebe ist nach wie vor das Schicksal der von Soros gegründeten und finanzierten Central European University.
Die Regierung zögert die Unterzeichnung eines Abkommens, das wegen von ihr erlassenen Gesetzen erst nötig wurde, seit letztem Herbst hinaus. Die renommierte Hochschule gibt in Ungarn jährlich fast 40 Millionen Franken aus und schafft direkt und indirekt Tausende Jobs.
Die «Open Society Foundation» verlegt ihren internationalen Sitz nach Berlin, möchte die ungarische Zivilgesellschaft aber weiterhin mit Geld unterstützen.
Stop-Soros-Gesetzespaket in Arbeit
Die Frage ist, wie lange das noch möglich ist. Orbans Regierung arbeitet mit Hochdruck am sogenannten Stop-Soros-Gesetzespaket. Die Geheimdienste dürften demnach neu Nichtregierungsorganisationen (NGO) überwachen. Alle Organisationen, die Flüchtlinge oder Asylsuchende in irgendeiner Weise unterstützen, müssten einen Viertel ihrer ausländischen Fördergelder dem Staat abgeben. Und sie bräuchten eine Lizenz der Regierung – könnten also jederzeit geschlossen werden.
Die Regierung hat NGO-Tätigkeiten erst vor Kurzem mit neuen gesetzlichen Auflagen erschwert. Sie muss sich deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten. Jetzt legt sie schon nach, noch bevor ein Urteil vorliegt, und zwingt manche NGOs damit womöglich zur Aufgabe.
Orban sieht sich bestätigt
Ob sich Orban von den Institutionen der EU noch in die Schranken weisen lässt, ist ungewiss. Denn für ihn steht ausser Frage, dass die Geschichte ihm längst recht gegeben hat. «Das Zeitalter der liberalen Demokratie ist zu Ende gegangen», sagte er nach seiner Vereidigung als Premierminister letzte Woche und kündigte an, Europa vom angeblich eingeschlagenen Weg der Selbstabschaffung abbringen zu wollen.
Soros, sein ehemaliger Förderer, ist für Orban ein Mann von gestern: Er bekämpft ihn wie ein rebellierender Sohn seinen Vater. Er lehnt nicht nur ihn ab, sondern auch alles, wofür er steht.