Nach dem sistierten Getreideabkommen verspricht Kremlchef Wladimir Putin am Afrika-Gipfel, Russland könne die ukrainischen Getreidelieferungen vollständig ersetzen. Das britische Verteidigungsministerium warnt vor unabsehbaren Folgen für die demokratische Entwicklung dieser Länder. Die Lage spitze sich auch wegen der bereits hohen Lebensmittelpreise zu, sagt Rohstoffhändler Andreas Zivy von Ameropa.
SRF News: Ist nach Putins Ankündigung alles nur halb so schlimm, wenn das Getreideabkommen mit der Ukraine sistiert bleibt?
Andreas Zivy: Die Frage ist nicht, ob man die Lieferungen ersetzen kann, sondern zu welchem Preis. Die Preise in Afrika steigen seit zwei Jahren stark an. Dazu kommen klimatische Probleme in verschiedenen Weltregionen bei der bevorstehenden Maisernte. Zudem hat Indien als wichtiger Lieferant für Afrika den Reisexport gestoppt. Die UNO beziffert die Nahrungsmittelinflation für 2022 in Ländern wie Äthiopien auf 30 Prozent, in Ägypten auf 65 Prozent. Wenn man bedenkt, dass afrikanische Bürgerinnen und Bürger 40 bis 50 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel ausgeben, ist das ein existenzielles, humanitäres Problem.
Wie sind Ihre Erfahrungen als VR-Präsident der Rohstoffhandelsfirma Ameropa und wie handelt das Unternehmen unter diesen Umständen?
Unser Geschäft ist hauptsächlich in Mitteleuropa konzentriert. Wir kaufen das meiste Getreide entlang der Donau ein. Entsprechend sind wir davon nicht betroffen. Ameropa kauft allerdings ukrainisches Getreide für den Umschlagbetrieb im rumänischen Hafen von Constanța am Schwarzen Meer zu. Dort bombardierten die Russen letzte Woche die ukrainischen Donauhäfen Reni und Ismajil. Wir wissen nicht, wie gross die Schäden sind, im Moment erhalten wir keine Ware.
Was ist der Zusammenhang zwischen Ernährungssicherheit und Demokratie?
Einen gesicherten Zusammenhang gibt es nicht, es gibt nur Anhaltspunkte. Etwa jenen, dass Hunger und Armut demokratische Zustände nicht begünstigen, oder den, dass starke Preiserhöhungen in kurzer Zeit sehr oft Unruhen auslösen. Wie bei der Französischen Revolution ab 1789 oder bei der Arabellion ab Ende 2010 in der arabischen Welt. Wohl nicht zufällig gab es in den letzten zwei Jahren sechs Militärputsche in Afrika: Niger, Mali, Burkina Faso, Guinea, Tschad und Sudan.
Als Stiftungsrat der Schweizer Demokratie Stiftung – was bereitet Ihnen im Moment am meisten Sorgen?
Es geht vor allem um Afrika, das zurzeit in allererster Linie ein humanitäres und nicht so sehr ein demokratiepolitisches Problem hat. Denn die Demokratie ist an sich schwach ausgebildet und in vielen Ländern gar nicht existent. Je länger aber diese Menschen in Armut verharren, desto schwieriger wird es, Demokratie einzuführen, zu fördern oder zu verteidigen. Das macht mir Angst.
Die Solidarität mit armen Ländern im Kampf gegen Hunger und für Ernährungssicherheit ist seit der Pandemie noch mehr gesunken. Was müsste getan werden?
Meine Antwort hört sich vielleicht erschreckend an, aber es ist so, wie der indische Ökonom Amartya Sen sagt: In Demokratien gibt es keine Hungersnöte. Das heisst auch, dass die Ernährungssicherheit in den afrikanischen Ländern eigentlich gegeben ist. Ich glaube nicht, dass die Welt zuschauen wird und kann, sollte es zu Hungersnöten kommen. Diese gibt es in Diktaturen und bei Kriegen. Je demokratischer Länder sind, desto besser gehen sie mit solchen Problemen um, während Diktaturen teilweise auch zur Machterhaltung gar nichts tun.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.