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Nach Referendum in Katalonien «Die EU ist am besten beraten, sich rauszuhalten»

Wie es in Spanien weiter geht, ist unklar. Sicher aber müsse das Land sein zentralistisches System überdenken, sagt Experte Günther Maihold.

Porträtaufnahme von Maihold.
Legende: Günther Maihold ist Spanien-Experte und stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. ZVG

SRF News: Was halten die Spanier ausserhalb Kataloniens vom gestrigen Referendum?

Günther Maihold: Sie teilen durchaus die Haltung von Regierungschef Mariano Rajoy. Er beharrt auf der Durchsetzung der Entscheidung des Obersten Gerichts. Restspanien sagt, wenn sich ein einzelner Staat unabhängig machen wolle, könne er das nicht nur für sich entscheiden. Es müsse ein Referendum stattfinden, an dem sich alle Spanier beteiligen könnten. Nur dann wäre solch eine Entscheidung für sie akzeptabel.

Eine Verfassungsänderung wäre ein durchaus denkbarer Ausweg.

Rajoy erklärte Sonntagnacht, das Referendum sei zwar illegal, aber man könne über alles sprechen, auch über eine Verfassungsänderung. Ist das kein Zeichen von Kompromissbereitschaft?

Eine Verfassungsänderung wäre ein durchaus denkbarer Ausweg. In Spanien ist die Konkurrenz zwischen dem Zentralstaat und den Autonomien bereits in der Verfassung angelegt, denn ihre Beziehung ist rechtlich nicht sauber geregelt.

Das heisst: Letztlich liegt es in der Hand eines jeden Ministerpräsidenten, innerhalb der generellen Autonomieregelungen konkrete Vereinbarungen mit jeder einzelnen Regionalregierung zu treffen. So hat es Rajoy mit dem Baskenland getan. Mit seiner Minderheitsregierung ist er auf die Unterstützung der baskischen Abgeordneten angewiesen und hat deshalb grössere Summen an das Baskenland freigegeben. Das wird in Katalonien natürlich nicht besonders goutiert.

Restspanien sagt, wenn sich ein einzelner Staat unabhängig machen wolle, könne er das nicht nur für sich entscheiden.

Warum ist Madrid gegenüber den Katalanen so viel unnachgiebiger als gegenüber den Basken?

Im Baskenland ist gegenwärtig eine konservative Unabhängigkeitsbewegung an der Macht. Sie steht eher der Regierung Rajoys nahe. Deswegen ist er dort sehr viel nachgiebiger. In Katalonien aber haben wir eine linke Regierung aus vielen unterschiedlichen Splittergruppen, die für den Chef der Zentralregierung keine nützlichen Partner sind und wo auch seine Partei kaum Stimmen gewinnen kann. Unter wahlstrategischen Gesichtspunkten ist es für Rajoy also nicht attraktiv, Katalonien nachzugeben.

Katalonen feiern ihren Abstimmungssieg auf der Strasse.
Legende: Die katalanischen Separatisten sehen das gestrige Referendum als Auftrag, einen unabhängigen Staat auszurufen. Keystone

Der Chef der katalanischen Regionalregierung fordert nun eine Mediation durch die EU. Könnte das die verfahrene Situation lösen?

Ich sehe nicht, was die EU dort einzubringen hätte. Sie hat keine Möglichkeit, in die Spannungen zwischen Regional- und Zentralregierung Ressourcen anzubringen. Sie hat auch kein Interesse daran, dass sich unabhängige Staaten bilden, die dann erst nach und nach in die EU eintreten müssten. Die EU ist am besten beraten, wenn sie sich aus dem Konflikt hält. Das heisst nicht, dass sie sich nicht mit guten diplomatischen Diensten positiv einbringen könnte.

Wäre es nicht sinnvoller, ein föderaleres Spanien mit einheitlichen Regeln zu schaffen?

Dazu müsste ein gemeinsamer Verhandlungsrahmen aufgezogen werden, an dem sich alle 17 Autonomieregionen mit der Zentralregierung zusammensetzen. Man müsste dort eine Art Länderfinanzausgleich mit berechenbaren Regeln und Kompetenzzuweisungen definieren. Das wäre aber der Prozess einer grundlegenden Staatsreform, weil Spanien bisher eben ein Zentralstaat, und kein föderales Gebilde ist.

Gegenwärtig erkenne ich allerdings keine Ansatzpunkte eines Willens, das in Angriff zu nehmen. Gleichwohl sind die politischen Parteien des Landes jetzt gefordert. Nachdem es auf Regierungsebene zu dieser Eskalation gekommen ist, müssten sie das Heft des Handelns nun an sich ziehen und mit parlamentarischer Diplomatie versuchen, einen neuen Dialogfaden zu spinnen, der möglicherweise auch zu einer gewissen Transformation des Verfassungskonsenses aus dem Jahr 1978 führen könnte.

Laut Umfragen will eine Mehrheit der Basken zwar keinen eigenen Staat, aber sie möchte darüber abstimmen können. Der Drang nach mehr Mitbestimmung ist also kein rein katalanisches Phänomen?

Nein, wir sehen es auf allen Ebenen, auch in grossen Städten. Gleichwohl steuert Katalonien eine Dimension an, wo es auch um die Frage des Rechts- und Finanzsystems geht. Und das sind Bereiche, die in anderen Kontexten von der Gestaltung über Referenden ausgeschlossen sind, weil damit Grundprinzipien des Zusammenlebens neu geordnet würden.

In den Kommentarspalten war von der grössten Krise seit der Franco-Zeit oder gar von einem Kollaps Spaniens zu lesen. Sehen sie die Lage auch so dramatisch?

Nein. Es ist eine Verfassungs- und auch eine Rechtskrise, weil die katalanische Regierung sich über jegliche Gerichtsurteile hinwegsetzt und auch die lokale Polizei sich nicht daran gebunden fühlt. Das sind sicherlich dramatische Ereignisse, weil sie eine neue Qualität schaffen.

Gegenwärtig nehmen wir vor allem die Gruppe der besonders radikalen Autonomiebefürworter wahr. Die grosse Masse der Bevölkerung ist aber nicht aktiv geworden.

Auf der andern Seite nehmen wir gegenwärtig vor allem die Gruppe der besonders radikalen Autonomiebefürworter wahr. Die grosse Masse der Bevölkerung ist aber nicht aktiv geworden. Ihr wird es durch die etwas fehl gelaufene Intervention Madrids auch immer schwerer gemacht, aktiv zu werden. Insofern steht ein richtig kontrollierter, sauberer Wahlgang aus, bei dem deutlich werden könnte, wie sich die Mehrheiten verteilen und auf deren Grundlage neu zu verhandeln wäre.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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