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Nahost-Konflikt Angriff auf Spital in Gaza: Was bekannt ist – und was nicht

Israel will einen Hamas-Kommandoposten angegriffen haben. Vor Ort brennt ein Zeltlager. Schreckliche Bilder kursieren. Der Vorfall löst heftige Reaktionen aus und lässt viele Fragen offen. Ein Überblick.

Der Angriff: Am frühen Montagmorgen, kurz vor zwei Uhr (Schweizer Zeit), vermeldete die Deutsche Presseagentur unter Berufung auf die israelische Armee, dass diese eine «Hamas-Kommandozentrale» angegriffen habe. Diese habe sich im Zentrum des Gazastreifens in einem Gebäude befunden, das früher als Spital gedient habe. Sie habe Hamas-Terroristen zur Planung und Ausführung von Anschlägen auf Israels Truppen und den Staat Israel gedient. Beweise dafür, dass es sich um eine Kommandozentrale gehandelt habe, legte die israelische Armee keine vor.

Die brennenden Zelte: Rund sechs Stunden später berichtete die Nachrichtenagentur AP, dass der israelische Luftangriff beim Al-Aqsa-Spital in der Stadt Deir al-Balah niedergegangen sei. Zudem sei ein Feuer in einem Zeltlager für Vertriebene ausgebrochen, die dort Zuflucht suchten. Vier Menschen seien ums Leben gekommen, wie aus Spitalunterlagen ersichtlich worden sei.

Der Nachrichtensender Al Jazeera berichtete später von insgesamt über 70 Verletzten. 25 von ihnen seien mit schweren Brandverletzungen in ein anderes Spital im Süden des Gazastreifens verlegt worden. Eine Stellungnahme der Hamas zum Angriff lag bislang nicht vor.

Israel: Hamas missbraucht zivile Infrastruktur systematisch

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Laut der Nachrichtenagentur AP hat die israelische Armee in den letzten Monaten wiederholt überfüllte Unterkünfte und Zeltlager angegriffen. Hamas-Kämpfer nutzten sie als Aufmarschgebiet für Angriffe, begründete sie die Angriffe.

Die Armee sprach nun von einem weiteren Beispiel für den systematischen Missbrauch ziviler Infrastruktur durch die Hamas, die damit gegen internationales Recht verstosse. Man habe vor dem «präzisen Angriff» zahlreiche Massnahmen ergriffen, um die Gefahr für Zivilisten zu mindern. Angaben zu den Opfern machte die Armee keine.

Die Videos: Auf Social Media wurden Videos verbreitet, die Schreckliches zeigen: Im Flammenmeer sind die Umrisse von Menschen zu sehen. Bei Tageslicht zeigt sich das Ausmass der Zerstörung. Das Spital im Hintergrund scheint unbeschädigt. Nicht ersichtlich wird auf den Bildern und Videos, wo der israelische Luftangriff eingeschlagen haben soll.

Offene Fragen zum Brand: Gemäss der Nachrichtenagentur AP waren nach einer ersten Explosion mehrere weitere zu hören. Es sei jedoch nicht klar gewesen, ob diese durch Geschosse oder durch in die Luft gegangene Treibstofffässer verursacht worden seien. Augenzeugen erklärten gegenüber der «New York Times», dass Kochgaskanister im Flüchtlingscamp die Flammen angefacht hätten.

Das Spital: Gemäss der Nachrichtenagentur AP hatte das Al-Aqsa-Spital in Deir al-Balah zuvor bereits eine grosse Anzahl Verletzter und Verwundeter aufgenommen. Dies, nachdem eine nahegelegene Schule, die zu einem Schutzraum umfunktioniert wurde, beschossen worden war. 20 Personen waren bei diesem Angriff ums Leben gekommen. Unklar bleibt, ob das Spital zum Zeitpunkt des Angriffs in Betrieb war.

Einschätzung von Susanne Brunner, Leiterin Auslandredaktion

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Die Videos, die mir der Schriftsteller Akram Sourani am Montagmorgen aus Deir al Balah schickt, sind unerträglich grausam: ein zitternder, mit Brandwunden übersäter Mann, dem andere – ebenfalls mit Verbrennungen – zu helfen versuchen, überall ist Feuer.

Aufgenommen hat der Schriftsteller die Bilder nicht selbst. Er lebt zwar in einem Zeltlager in der Gegend, aber Zeuge dieses Grauens war er nicht. Andere Kontakte schicken dieselben Bilder. Echt oder nicht, respektive: Wirklich dort gefilmt oder nicht? Von der Hamas ist zunächst gar nichts zu hören. Die israelische Armee spricht von einem Bombenangriff auf eine Hamas-Kommandozentrale. Beweise dafür? Keine. News-Portale wollen schnell sein: Schliesslich hat man einen Live-Ticker zum Krieg im Nahen Osten.

Aber so schnell geht es mit der Verifizierung nicht. Quellen sind zuallererst Nachrichtenagenturen, andere schreiben ab. Aber alle Medien stehen vor denselben Herausforderungen: Unabhängig berichten können sie aus dem Gazastreifen nicht, weil Israel keine Journalisten und Journalistinnen aus Gaza berichten lässt und gleichzeitig die palästinensischen Medienleute als Hamas-Anhänger diskreditiert. Es ist höchste Zeit, dass Israel Reporterinnen und Reporter aus dem Gazastreifen berichten lässt.

Vor dem Krieg war es die Hamas, die Journalisten und Journalistinnen manchmal lange auf eine Eintrittsbewilligung in den Gazastreifen warten liess. An der Wahrheit ist keine Kriegspartei interessiert. Und deshalb ist auch keine Kriegspartei für sich alleine eine glaubwürdige Quelle.

Susanne Brunner ist Auslandredaktorin und Leiterin der Auslandredaktion Radio SRF.

Die Reaktionen: In einem Beitrag auf der Plattform X schrieb ein Sprecher der israelischen Armee, dass die Terroristen sich im Gebiet um den Parkplatz des Spitals aufgehalten hätten. Zum Feuer sei es aufgrund «sekundärer Explosionen» gekommen, so Nadav Shoshani. Der Vorfall werde nun untersucht. Die Ereignisse lösten internationale Reaktionen aus: Gegenüber der «New York Times» erklärte ein Sprecher des Weissen Hauses, man habe Israel gegenüber Vorbehalte über das Vorgehen kommuniziert. «Die Aufnahmen, die offenbar Vertriebene zeigen, die bei lebendigem Leib verbrennen, sind zutiefst verstörend», zitiert die Zeitung Eduardo Maia Silva, Sprecher des US-Sicherheitsrates.

Krieg im Nahen Osten

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Die Konflikte in Israel, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Libanon halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

Tagesschau, 14.10.2024, 19:30 Uhr ; 

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