Die Nato probt den Ernstfall. In den Wäldern Norwegens und im ganzen Nord- und Ostseeraum. Geübt wird das Zurückschlagen eines feindlichen Angriffes auf ein Mitgliedsland der Militärallianz.
«Trident Juncture», so der Name der Übung, ist das grösste Nato-Manöver seit dem Kalten Krieg. Und die Zahlen beeindrucken: mehr als 30 Länder, 50'000 Soldaten, 10'000 gepanzerte Fahrzeuge, 250 Kampfflugzeuge, 65 Kriegsschiffe. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht von einem «ehrgeizigen und anspruchsvollen Grossmanöver».
Jahrzehntelang führte das westliche Militärbündnis keine derart grossen Truppenübungen mehr durch. Geübt werden soll der sogenannte Bündnisfall, gemäss Artikel 5 der Nato-Satzung. Also konkret: Wie reagiert die Nato, wenn eines ihrer Mitglieder angegriffen wird?
Reaktionstempo, Truppenverlegung und Kooperation
Im Vordergrund stehen das Reaktionstempo, die schnelle Truppenverlegung und die länderübergreifende Zusammenarbeit über Dutzende von Armeen hinweg. Voll dabei sind auch die neutralen Nicht-Natomitglieder Schweden und Finnland.
Dass die «Trident-Juncture»-Manöver in Norwegen und angrenzenden Gebieten stattfinden, ist kein Zufall. Und dass der Feind in der Übungsanlage keinen Namen hat, täuscht ebenso wenig darüber hinweg, dass Russland gemeint ist, welches im hohen Norden gewaltig aufgerüstet, neue Militärbasen eingerichtet und seine Eismeerflotte vergrössert hat.
Russen nehmen Einladung zur Beobachtung an
Zwar betont der norwegische General Rune Jakobsen, die wichtigsten Übungen fänden nicht unmittelbar an der russischen Grenze statt; «die Russen brauchen also keine Angst zu haben». Und selbstverständlich sei ja ohnehin, dass «Trident Juncture» oder auf Deutsch etwas umständlich «dreizackiger Verbindungspunkt» rein defensiv sei.
Ausserdem will die Nato volle Transparenz bieten und hat zu sämtlichen Übungsteilen russische Beobachter – und solche aus allen übrigen OSZE-Mitgliedsländern eingeladen. Moskau hat das Angebot angenommen. Im Kreml spricht man dennoch von «verantwortungslosem Vorgehen» der Nato und von «Säbelrasseln».
Neue Waffen im Ernstfall-Test
Allerdings führte Russland seinerseits vor einem Jahr unter dem Namen «Zapad», also «Westen», Grossmanöver durch – es waren ebenfalls die grössten russischen Manöver seit vielen Jahren. Und soeben fand, gemeinsam mit China organisiert, die noch weit umfangreichere Truppenübung «Wostok» statt.
Alle Grossmächte haben sich in den vergangenen Jahren neue Strukturen und Einsatzpläne verpasst und beschafften sich neue Waffen. Ob sie tatsächlich etwas taugen, lässt sich schwer sagen. Das zeigt sich erst im Ernstfall-Test, also in Manövern.
Man schaukelt sich gegenseitig hoch
Dazu kommt, dass umfangreiche Truppenübungen auf der einen Seite fast automatisch ebensolche auf der anderen Seite nach sich ziehen. Man schaukelt sich also gegenseitig hoch.
Und schliesslich: Die Spannungen zwischen Ost und West sind so gross wie seit langem nicht mehr. All das führt zu einer – für viele überraschenden – Renaissance der Grossmanöver.