Die osteuropäischen Spitäler sind derzeit wegen der dritten Corona-Welle vielerorts überlastet. Nirgendwo in der EU sterben derzeit so viele Menschen an Covid-19 wie in Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei. Die jahrzehntelange Vernachlässigung des Gesundheitswesens rächt sich.
In unserem polnischen Bekanntenkreis gehören tragische Geschichten über kranke Verwandte oder Freunde, die zu spät, zu schlecht oder sogar überhaupt nicht behandelt wurden, zum Alltag. Erst recht, seit das Coronavirus wütet.
Ein trauriger Rekord
Solche Geschichten sind mehr als nur Anekdoten. Das beweist die Todesstatistik vom vergangenen November: Damals starben in Polen fast doppelt so viele Menschen wie im gleichen Monat des Vorjahres. Und in keinem Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg verloren im grössten osteuropäischen EU-Land so viele Menschen ihr Leben wie 2020.
Die meisten hat nicht das Coronavirus getötet. Oder zumindest nicht direkt. Vielen dürfte eher zum Verhängnis geworden sein, dass die Pandemie die Spitäler so sehr überfordert hat, dass andere Fälle nicht mehr genügend gut behandelt werden konnten. Jetzt, in der dritten Pandemiewelle, steht Polen erneut vor diesem Drama.
Weitverbreiteter Ärzte- und Pflegemangel
In ganz Osteuropa fehlen Ärztinnen und Pflegende. Sie sind in den letzten Jahren zu Zehntausenden ausgewandert, etwa nach Deutschland, Grossbritannien oder in die Schweiz.
Nirgendwo in der EU geben die Regierungen so wenig Geld für das Gesundheitswesen aus wie im Osten. Polen zum Beispiel erwirtschaftet mehr Geld pro Kopf als Portugal, investiert aber nicht halb so viel in die Gesundheit seiner Bevölkerung.
Tiefe Löhne und marode Infrastruktur
Das schlägt sich in tiefen Löhnen und in der maroden Infrastruktur nieder; in Frust und Überforderung beim medizinischen Personal; in der Auswanderung; und jetzt in der Pandemie wohl auch in den hohen Todeszahlen.
Die Regierungen im Osten der EU versprechen alle, sie wollten ihre Gesundheitssysteme verbessern. Nur überzeugen ihre Rezepte oft wenig. In Polen soll ab Juli der Minimallohn einer Fachärztin steigen – um umgerechnet fünf Franken im Monat. Ein Hohn, sagen die Ärzte.
Mehr Lohn für weniger Freiheit
In Ungarn gibt es derweil mehr Lohn in den Spitälern, aber gleichzeitig auch weniger Freiheit, zum Beispiel beim Annehmen von Nebenjobs. Geht nicht, sagen tausende Ärzte und Pflegende. Sie haben ihre Spitaljobs gekündigt.
So oder so lassen sich jahrzehntelange Versäumnisse nicht von heute auf morgen kurieren. Für viele, die derzeit während der Pandemie auf gute Pflege angewiesen wären, kommt wohl jede Hilfe zu spät.