SRF News: Ist der Jubel eines grossen Teils des ANC gerechtfertigt?
Patrik Wülser: Wir sahen und hörten vor allem den Jubel der Anhänger und Anhängerinnen Ramaphosas. Rund 5000 Delegierte der Partei haben sich in Johannesburg versammelt, und davon hat sich nur knapp die Hälfte für Ramaphosa entschieden. Die andere knappe Hälfte war über die Wahl enttäuscht. Dies ist nicht ein deutlicher, harmonischer Mehrheitsentscheid. Das macht die kommende Arbeit des Hoffnungsträgers Ramaphosa entsprechend schwierig.
Kann Ramaphosa unter diesen Vorzeichen überhaupt einschneidende Reformen durchführen?
Das wird arithmetisch schwierig. Durch diese knappe Wahl sind noch immer viele Zöglinge Zumas in den Leitungsgremien des ANC. Trotzdem ist die Hoffnung in Südafrika heute gross. Ramaphosa war ein Kampfgefährte von Nelson Mandela. Verschiedene Mitkämpfer haben mir in den vergangenen Jahren erzählt, dass Mandela nie verstanden habe, weshalb man vor knapp acht Jahren den Schulabbrecher Zuma zum Präsidenten gemacht habe und nicht Ramaphosa.
Cyril Ramaphosa ist Profiteur des ANC-Apparates.
Aber mittlerweile ist dieser nicht mehr Befreiungskämpfer und auch nicht mehr Gewerkschafter, sondern einer der reichsten Männer Südafrikas. Er machte seinen Reichtum mit Rohstoffen. Er gehört damit zu einer kleinen Oligarchie von Schwarzen, die von der Befreiung von der Apartheid profitiert haben. Es konnte ihm zwar nie kriminelles Handeln nachgewiesen werden, aber er ist auch Profiteur dieses ANC-Apparates. Und den soll er nun reformieren.
Ramaphosa hat angekündigt, er wolle konsequent gegen Korruption vorgehen. Wie gross ist sein Handlungsspielraum?
Aus meiner Sicht ist er klein. Das zeigte sich bereits in seiner Abschlussrede zum ANC-Kongress am Mittwoch. Ramaphosa verurteilte zwar auf der einen Seite mehr oder weniger deutlich die Korruption. Er versprach, Korruptionsfälle ohne Rücksicht auf Ansehen aufzuklären und zu ahnden. Auf der anderen Seite versprach er ebenso, die Politik Zumas weiterzuführen. Da ist zum Beispiel die Landreform. Zuma hatte die Idee, dass Weisse, die Land besitzen, ohne Entschädigung vom Staat enteignet werden können. Wie gefährlich es sein kann, eine solche Politik umzusetzen, zeigt sich im Nachbarland Simbabwe. Der ehemalige dortige Präsident Mugabe hat weisse Landbesitzer enteignet und die Lebensmittelversorgung ist völlig zusammengebrochen. Man hat den Eindruck, Ramaphosa versuche beide Seiten zu befriedigen, allen ein bisschen Recht zu geben, um eine Spaltung der Partei zu verhindern.
Kann sich Ramaphosa überhaupt von Zuma distanzieren? Das wäre nötig, um frischen Wind in den ANC zu bringen.
Wenn Ramaphosa das Land aus der momentanen wirtschaftlichen und politischen Misere führen will, dann muss er sich vom System Zuma distanzieren. Die Familie Zuma hat bekanntlich den Staat als Selbstbedienungsladen betrachtet. Die ANC-Eliten haben in Südafrika einen Schattenstaat errichtet, um sich zu bereichern. Es war nicht nur Jacob Zuma alleine, es war eine ganze Pyramide bis an die ANC-Basis.
Das System zu reformieren und zu säubern wird für Ramaphosa nicht einfach.
Man geht davon aus, dass rund 30 Prozent der ANC-Wähler in irgendeiner Form vom Staat profitieren, illegal oder legal. Sie profitieren in Form von Job, Renten oder unentgeltlichen Häusern. Ein solches System zu reformieren und zu säubern wird für Ramaphosa nicht einfach, zumal die Zuma-Fraktion noch die Hälfte der Sitze im nationalen ANC-Direktorium innehat.
Abgesehen von den Zuständen innerhalb der Partei: Welche Herausforderungen des Landes Südafrika warten auf Ramaphosa?
Südafrika ist wirtschaftlich am Boden. Es hat ein desolates Schulsystem. Armut und Korruption sind immer noch weitverbreitet. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 40 Prozent. In den Strassen der Townships trifft man diese jungen Südafrikaner an, die vor Jahren die Schule abgeschlossen, aber keine Ausbildung oder keinen Job und somit keine Perspektive haben.
Da ist eine immense Wut zu spüren, und fast täglich kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen mit der Polizei. Autos brennen. Häuser werden zerstört. Das ist eine hochexplosive Situation, nicht nur für die Townships, sondern für das ganze Land. Und dazu kommt die Tatsache, dass auch gut 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid 70 Prozent des Landes immer noch Eigentum von Weissen sind.
2019 wird in Südafrika das Parlament und ein neuer Präsident gewählt. Was heisst das für den ANC und für Ramaphosa?
Der ANC als Regierungspartei stellt noch immer die Mehrheit im Nationalparlament und in den meisten Provinzen, hat aber bei den vergangenen Wahlen systematisch an Wähleranteilen verloren. Bei den letzten Kommunalwahlen hat die Opposition – die demokratische Allianz – die Macht in drei grossen Städten, darunter Johannesburg, erobert.
Der ANC hat für jüngere Südafrikaner an Glanz verloren.
Südafrikanische Politologen sind sich ziemlich sicher, dass der ANC bei den kommenden oder bei den übernächsten Wahlen die Mehrheit verlieren könnte. Gerade für junge Südafrikaner, die nach dem Ende der Apartheid zur Welt kamen, hat er an Glanz verloren. Er gilt nicht mehr die stolze Befreiungsbewegung, sondern für viele ist er eine kriminelle Organisation. Sie fühlen sich nicht mehr moralisch verpflichtet, ANC zu wählen, wie ihre Eltern.