Der Beschluss zur Verteilung von 120'000 Flüchtlingen in Europa liegt eigentlich vor – dennoch streitet die EU weiter über den richtigen Kurs in der Asylpolitik. Vor dem heutigen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingsfrage kündigte die Slowakei an, dass sich das Land nicht an die Vereinbarung halten wolle.
Der slowakische Regierungschef Robert Fico sagte, sein Land werde zweigleisig vorgehen: Zum einen werde vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg geklagt, zum anderen werde der Beschluss der Innenminister vom Dienstag nicht umgesetzt.
Tschechien und Rumänien wollen derzeit nicht klagen
Gegen die Umverteilung der Flüchtlinge hatten Ungarn, Rumänien und Tschechien votiert. Die Minister trafen die Entscheidung lediglich mit der notwendigen Mehrheit, und nicht – wie sonst bei wichtigen Fragen üblich – im Konsens aller Staaten.
Den Gerichtsweg will jedoch bisher lediglich die Slowakei einschlagen. Die Regierungen von Rumänien und Tschechien wollen nicht gegen den Beschluss vorgehen. «Nach meinem Verständnis wollen andere Länder klagen. Wir werden abwarten, was dabei herauskommt», sagte Rumäniens Präsident Klaus Johannis vor dem Abflug zum Gipfel.
«Ich möchte die Spannungen mit Klagen nicht weiter steigern», erklärte Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Europa dürfe in der Flüchtlingskrise nicht zerfallen.
Milliardenhilfe für die Türkei?
Beim Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel steht die Flüchtlingskrise als wichtigster Punkt auf der Tagesordnung.
Bei dem Treffen geht es nach dem Willen von Gipfelchef Donald Tusk vor allem um den besseren Schutz der EU-Aussengrenzen und eine Stabilisierung der Lage in Kriegs- und Krisengebieten ausserhalb der Union. So soll der Türkei mit bis zu einer Milliarde Euro für die Flüchtlingshilfe unter die Arme gegriffen werden.
«EU muss glaubwürdig sein»
Angesichts der Reibungen warnte die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini vor einem internationalen Ansehensverlust der Europäischen Union. «Wir müssen glaubwürdig sein und innerhalb unserer Grenzen tun, was wir ausserhalb unserer Grenzen fordern», sagte sie der «Süddeutschen Zeitung».
Schon jetzt schade der Umgang mit der Flüchtlingskrise der EU in der Aussenpolitik. «Das schwächt unsere Glaubwürdigkeit nach aussen sehr», sagte sie.
Serbien spricht von «Handelskrieg»
Seinen Unmut über die Flüchtlingskrise in Europa bekräftigte derweil auch Serbien. Das Nicht-EU-Land beschuldigte seinen Nachbarn Kroatien, mit der Schliessung von Grenzübergängen in der Flüchtlingskrise «eine Art Handelskrieg» und «wirtschaftliche Aggression» zu betreiben.
Das habe es nur zu Zeiten der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren gegeben, kritisierte der serbische Aussenminister Ivica Dacic. Kroatien will Serbien mit der Schliessung der Übergänge zwingen, nicht länger Zehntausende Flüchtlinge an die Grenze zu bringen.
Heftiger Streit in der EU
Die Verteilung der 120'000 Migranten, die zunächst Griechenland und Italien entlasten soll, hatte zu schwerem Streit unter den EU-Ländern geführt, besonders die baltischen und mitteleuropäischen Staaten waren bis zuletzt dagegen. Ungarn als einer der entschiedensten Gegner muss ebenfalls mitmachen. «Auch Ungarn muss Migranten annehmen», sagte Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn. Sein Land führt derzeit den Vorsitz der EU-Staaten, deshalb leitete er das Treffen der Inneminister.
Den ursprünglichen Vorschlag, der zu einer Entlastung für Ungarn geführt hätte, hatte die Budapester Regierung abgelehnt. Dem Land sollen nun nach Angaben von Diplomaten ungefähr 2350 Personen zunächst aus Italien und Griechenland zugeteilt werden.