Am Ende hat er sich durchgesetzt – mit Geduld aber auch mit Bestimmtheit. Als Mario Draghi am Abend im Quirinalspalast die Namen seiner neuen Ministerinnen und Minister vorliest, schwingt ein Hauch von Genugtuung mit. Der ehemalige oberste Europäische Notenbanker hat gerade die grösste Koalitionsregierung in Italien seit Jahrzehnten zusammengeschmiedet. Fast alle im Parlament vertretenen Parteien wollen sie unterstützen - nach Schweizer Verhältnissen.
Kurz zuvor hat er dem italienischen Staatspräsidenten, wie es das Protokoll will, die Liste für die Vereidigung unterbreitet: 15 politische Exponenten, acht parteien-unabhängige Experten. Diese sind in allen Schlüsselpositionen des neuen Kabinetts:
- Der bisherige Generaldirektor der Zentralbank wird neuer Finanzminister.
- Ein Physiker und Technologiemanager des italienischen Rüstungs,- Luft- und Raumfahrtunternehmens Leonardo wird Italiens technologischen Wandel in Angriff nehmen.
- Der ehemalige Europachef eines der weltweit grössten Mobilfunkkonzerne wird Italiens Rückstand im digitalen Zeitalter aufholen.
- Die ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichtes wird Justizministerin.
Auf ihren Posten bleiben als einzige politische Exponenten der Vorgängerregierung von Giuseppe Conte der Gesundheitsminister der Linkspartei LEU, welcher weiterhin das Land aus der Corona-Pandemie steuern soll, die bisherigen Verteidigungs- und Kulturminister des Partito Democratico und der alte und neue Aussenminister der Cinquestelle.
Alle anderen Positionen hat Mario Draghi neu besetzt – teilweise mit wichtigen Parteifrauen und -Männern aus dem Lager der Populisten von Lega und Cinquestelle, der Mitte-Rechts-Partei Forza Italia, der Mitte-Links-Partei, den Demokraten und ihrer Splitterpartei Italia Viva.
Sie alle sollen die politischen Platzhirsche in Schach halten, allen voran Matteo Salvini und Matteo Renzi – aber auch die immer mehr zerfallende ehemalige Protestbewegung der Cinquestelle.
Konkordanz – noch ein Fremdwort
Ihre teils völlig konträren Parteiinteressen sollen der neuen politischen Konkordanz geopfert werden. Das wird das Glanzstück von Mario Draghi sein! Schon jetzt bemerkenswert die 180-Grad-Wendung von Matteo Salvini, der plötzlich italienische Migrationspolitik «europäisch einbetten» und nach deutschen und französischen Standards ausrichten will.
Der ehemalige Mr. Euro muss in Italien schaffen, was er als Chef der Europäischen Zentralbank acht Jahre in Europa versucht hat: die geldpolitischen Interessen von 19 Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bekommen.
Vielleicht war dieser Einsatz einfacher gewesen als jetzt das neue Unterfangen. Mario Draghi muss das Unmögliche möglich machen und die italienische Politik erstmals auf eine gemeinsame Linie bringen: als 67. Regierung in 75 Jahren – in Zeiten von Corona im Zeichen eines gemeinsamen nationalen Interesses.