Libanon hat eine neue Regierung. Die letzte musste nach der Explosion im Hafen von Beirut am 10. August 2020 zurücktreten. 13 Monate lang haben die Politiker gestritten, während ihr Land in der Krise versank.
Aussitzen – bis die Leute verhungern
Mit Tränen in den Augen hat Premier Nadschib Mikati den Durchbruch verkündet: endlich eine Regierung, auf die jetzt jedoch Herkulesaufgaben zukämen. In den letzten 13 Monaten hat kein Politiker Tränen vergossen. Es schien, als würden sie die Alltagsmisere ihres Volkes gar nicht wahrnehmen.
Die kilometerlangen Warteschlangen vor den Tankstellen, weil kein Geld mehr da ist, um Treibstoff zu importieren. Die Stromausfälle, die gebietsweise fast den ganzen Tag dauern, und die unzähligen Geschäfte zur Schliessung zwangen. Die Inflation, die mehr als 70 Prozent der Bevölkerung arm gemacht hat. Die dunklen Strassen abends, weil es keinen Strom gibt, und auch keine Kunden für die Bars und Restaurants. Die meisten können sich kaum das Nötigste leisten. All das sahen die Politiker nicht.
Oder vielleicht sahen sie die Misere, und warteten einfach so lange, bis die Menschen mit ihrem täglichen Überleben so beschäftigt waren, dass sie jede Regierung begrüssen würden. Oder bis die Anführerinnen und Anführer der Massenproteste von 2019 das Land verlassen hatten. Denn damals, im Oktober 2019, demonstrierten Hunderttausende für das Ende der korrupten Machtelite, für ein neues Libanon. Das Volk ist am Boden, die alte Machtelite ist geblieben, ein neues Libanon wird diese Regierung nicht aufbauen, weil sie es gar nicht will.
In der Not mit wenig zufrieden
Auf den Strassen Beiruts wurde die Nachricht über die neue Regierung mit erschöpfter Gleichgültigkeit aufgenommen, einige äusserten leise Hoffnung: Vielleicht gebe es jetzt ein paar Stunden mehr Strom am Tag. Oder einfach nur Freude über den leicht gesunkenen Dollarkurs, der den Menschen kurzfristig etwas mehr Kaufkraft gab am heutigen Tag.
Bescheidene Wünsche, deren Erfüllung in funktionierenden Staaten eine Selbstverständlichkeit ist. Die neue Regierung wird sich um die Erfüllung dieser Wünsche bemühen. Bietet sie nur etwas Linderung der Not, punkten die Parteien für die nächsten Wahlen im Mai 2022. Denn jede noch so kleine Erleichterung des Alltags werden die Menschen bereits als markante Verbesserung empfinden.
Die alte Garde will keine Reformen
Was Libanon braucht, sind grundlegende Reformen. Eine Verwaltung, die Fachleute anstellt, statt die Cousinen und Schwiegersöhne der Mächtigen. Ein Staat, der nicht nur Steuern kassiert, sondern dafür auch Dienstleistungen liefert. Kontrollmechanismen, die Korruption eindämmen.
Dafür ist die neue Regierung nicht die richtige. Premier Nadschib Mikati hatte dieses Amt bereits zweimal inne, zuletzt bis 2013. Der Milliardär wurde der Korruption bezichtigt und 2019 wegen illegaler Gewinne angeklagt. Deswegen zur Rechenschaft gezogen wurde er nie. Dass er Premier wurde, verdankt er dem greisen Staatspräsidenten Michel Aoun und seiner Hisbollah-Allianz.
Also derselben Allianz, die auch seinen Vorgänger Hassan Diab unterstützte. Diab war weniger gut vernetzt als Mikati, und weniger reich. Aber eigentlich hätte Hassan Diab auch gleich Premierminister bleiben können. Stattdessen gibt es jetzt eine ganz ähnliche Regierung. Die nun auf internationale Hilfe hofft, damit das Land, das sie in den letzten 13 Monaten an die Wand gefahren hat, noch irgendwie zu retten ist.