Erin O'Tooles Mission ist ganz klar: Er glaube an Kanada und er wolle der nächste Premierminister werden, erklärte er. Er ist 47 Jahre alt, aufgewachsen bei Toronto, stolz auf seine Zeit im Militär. Seit 2012 sitzt er im kanadischen Parlament. Einige Monate lang besetzte er einen eher unwichtigen Ministerposten: 2015, als die Konservativen noch regierten – bis zum spektakulären Wahlsieg von Justin Trudeau und seiner liberalen Partei.
Dass O'Toole sich nun bei seiner Siegesrede mit Vor- und Nachnamen den Kanadiern vorstellte, habe einen guten Grund, sagt der Alex Marland, Politologie-Professor an der Memorial University of Newfoundland. Für viele Kanadier sei O'Toole ein kompletter Fremder – man müsse der kanadischen Politik schon sehr genau folgen, um ihn zu kennen, sagt Marland.
Trudeaus Image ist angekratzt
Auf der anderen Seite: Justin Trudeau, der Sohn eines Premierministers, der schon als Kind prominent war. Trudeau, der sich, bärtig und mit ernstem Gesicht, in letzter Zeit als Pandemie-Krisenmanager inszenierte. Kanada meisterte die Pandemie im Vergleich zu den USA bisher gut.
Die Umfragewerte seiner Partei waren sehr gut – und mit seiner internationalen Ausstrahlung könne ohnehin niemand mithalten, sagt Marland. Aber: Es sei eben nicht das Ausland, das den kanadischen Premier wähle. Und im Inland habe sich Trudeau einige Fehltritte geleistet.
Selbst jetzt, in einer nationalen Krise, dient die liberale Elite ihrer Klientel zu.
Sein Image sei beschädigt. Und Trudeau ist angreifbar geworden: Seit den Wahlen im letzten Herbst haben seine Liberalen im Parlament keine Mehrheit mehr, sie sind auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Diesen Sommer ist Trudeau wieder gestrauchelt: Seine Regierung vergab einen Millionenauftrag an eine grosse Wohltätigkeitsorganisation – mit der Trudeaus Familie eng verbandelt ist.
Schon zum dritten Mal ermittelt jetzt der Ethikbeauftragte des Parlaments gegen den Premier. Die Opposition spricht von Korruption, fordert Trudeaus Rücktritt.
Kommt es zu Neuwahlen?
«Selbst jetzt, in einer nationalen Krise, dient die liberale Elite ihrer Klientel zu», sagt der neue Chef der Konservativen. Letzte Woche ging Trudeau in die Offensive. Finanzminister Bill Morneau, auch er im Zentrum der jüngsten Affäre, hat er ausgetauscht. Die laufende Session hat er für beendet erklärt – und damit das Parlament lahmgelegt. Das sei nötig, um ein neues Regierungsprogramm aufzulegen; den Wiederaufbauplan für Kanada.
Trudeau wolle damit verhindern, dass das Parlament die jüngste Affäre weiter untersuche, kritisiert dagegen die Opposition. So oder so: Wenn Trudeau am 23. September sein neues Programm vorlegt, kommts zur Vertrauensabstimmung. Falls die drei grossen Oppositionsparteien gegen Trudeau stimmen, drohen Neuwahlen – mitten in einer Pandemie.
Mission: Bekanntheitsgrad steigern
Der neue Chef der Konservativen, Erin O'Toole, müsste dann sehr rasch in den Wahlkampf einsteigen. Er halte das aber für unwahrscheinlich, sagt Marland. Trudeau könne ziemlich sicher weiterregieren. Die Frage sei, wie lange. Irgendwann würden ihn die wiederholten Kontroversen und Skandale einholen. Vielleicht in einigen Monaten, vielleicht erst in einigen Jahren.
Egal wann: O'Toole wird sich bis dann als die konservative Alternative zu Trudeau in Stellung bringen – und dafür sorgen, dass die Kanadierinnen und Kanadier wissen, wer er ist.