Alexander Boris de Pfeffel Johnson ist geistreich, gebildet, spitzbübisch-charmant, unzuverlässig, unberechenbar und oft unvorbereitet. Er sucht die Anerkennung und Zuneigung seines Publikums um nahezu jeden Preis. Der 55-jährige Journalist und Politiker ist auf seine stockende, oft zerstreut wirkende, unnachahmliche Art wortgewandt.
Politiker benutzten komplizierte Wörter und Ideen, um Schwächen in ihrer Argumentation zuzukleistern, sagt Johnson. Was wie eine nüchterne Kritik klang, trifft auf niemanden so sehr zu wie auf ihn selbst. Einer seiner schärfsten Kritiker, der ehemalige konservative Abgeordnete und Kolumnist Matthew Parris, sagte einmal von Johnson, er strebe Ämter und Würden um ihrer selbst willen an, aber sobald er am Ziel sei, wisse er nicht, was er damit anfangen solle.
Boris Johnson: Bilderbuchkarriere mit Stolperern
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Bild 1 von 10. Querkopf mit stringenter Karriereplanung: Johnson besuchte die Elite-Universitäten, die so mancher britischer Premierminister in seiner Vita hat. In Oxford war er Mitglied des exklusiven «Bullingdon Club», der wegen seiner ausufernden Parties berüchtigt war. Dort lernte er auch den späteren Premierminister David Cameron kennen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 10. Nach dem Studium wandte sich Johnson Ende der 1980er-Jahre dem Journalismus zu. Sein Markenzeichen: Spitze Feder und ein höchst unterhaltsamer Mix aus Fakt und Fiktion. Seine Beiträge als Europakorrespondent aus Brüssel hatten zuweilen satirische Züge – und kosteten ihm den Job. Die Lacher in der Heimat waren ihm trotzdem sicher. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 10. In den 90ern erlangte Johnson mit seinen TV-Auftritten eine grosse Fangemeinde in Grossbritannien. «Direkt bis zur Ruppigkeit, exzentrisch und witzig, dabei von brillantem Verstand», beschrieb etwa die «Welt» seinen Auftritte. Ein Muster seiner «Direktheit»: Die Bewohner Papua-Neuguineas bezeichnete er als «Kannibalen und Mörder». Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 10. Parallel zu seiner journalistischen Tätigkeit lancierte Johnson seine politische Karriere. 2001 kandidierte er erfolgreich für die Tories in dem erzkonservativen Wahlkreis Henley-on-Thames. Weil er über eine aussereheliche Affäre gelogen hatte, verlor er 2004 das Amt als einer der Stellvertreter des damaligen Tory-Parteichefs. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 10. Zum Erstaunen vieler Beobachter kandidierte der «Politclown» 2007 für das Amt des Bürgermeisters von London. Mit Erfolg: Der Blondschopf setzte sich 2008 überraschend deutlich gegen Amtsinhaber Ken Livingstone (Labour) durch. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 10. Erfolgreicher Test der Betten der Athletenquartiere der Olympischen Spiele in London 2012 – die Johnson als Londoner Bürgermeister selbstredend nach Grossbritannien brachte. Kritiker schreiben ihm eine überschaubare Rolle bei seinem «Coup» zu. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 10. Nichtsdestotrotz: Viele Londoner liebten ihren schrulligen Bürgermeister. Seine Amtszeit widmete er dem Kampf gegen Verbrechen und Kriminalität – so führte er etwa ein Alkoholverbot im ÖV ein. Weitere Meilensteine seiner Amtszeit: Doppeldecker-Busse statt Gelenkbusse – und die «Boris Bikes», ein städtisches Leifahrradprojekt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 10. 2014 schrieb Johnson mit «The Churchill Factor» einen Bestseller – sein achtes Buch widmete er seinem grossen Vorbild. Nun startete Johnson endgültig auch national durch: 2015 zog er zum zweiten Mal ins britische Unterhaus ein, 2016 ging er auf Konfrontationskurs zu Premier Cameron: Dieser hatte soeben das Brexit-Referendum angekündigt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 9 von 10. Vehement setzte sich Johnson später für den EU-Austritt ein. Für Beobachter weniger aus Überzeugung als aus persönlichem Ehrgeiz und Konkurrenz gegenüber Cameron. Tatsächlich hatte Johnson zwei Kolumnen für den «Daily Telegraph» geschrieben. Eine für und eine gegen den Brexit. Der Austritt schien offenbar vielversprechender für die Karriere. Bildquelle: Reuters.
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Bild 10 von 10. Cameron trat nach dem Brexit-Referendum zurück. Unter Premierministerin Theresa May wurde Johnson 2017 als Aussenminister ins Kabinett berufen. Dort leistete er sich so manchen diplomatischen Aussetzer; 2018 erklärte er seinen Rücktritt. Johnson stellte sich nun offen gegen die angezählte Premierministerin – und schielte an die Downing Street 10. Bildquelle: Reuters.
Johnson behauptet von sich, er habe die Fähigkeit, das Land aus dem gegenwärtigen Chaos zu führen, den Brexit bis zum 31. Oktober zu vollstrecken und anschliessend das Land zu einigen, so wie er London geeinigt habe. Optimismus und Frohsinn waren schon immer die Markenzeichen des Politikers Johnson. Sein Geheimrezept: Er bringt die Leute zum Lachen.
Wahrheit bleibt nicht selten auf der Strecke
Dabei bleibt, auf der Suche nach einer Pointe, nicht selten die Wahrheit auf der Strecke. Letzte Woche beschuldigte er die EU theatralisch, den Versand von geräucherten Heringen von der Insel Man nach England willkürlich zu behindern. Bis sich herausstellte, dass die entsprechenden Vorschriften nicht aus Brüsseler Amtsstuben kamen sondern die britische Handschrift trugen.
Ähnlich beim Brexit: Die Problematik der irischen Grenze solle erst nach dem Austritt, während der Übergangsperiode angegangen werden. Doch ohne ein Scheidungsabkommen, das die Unsichtbarkeit der irischen Grenze gewährleistet, gibt es keine Übergangsperiode. Wenn man Boris Johnson beim Wort nimmt, steuert er direkt in einen politischen Orkan: Er verspricht eine Einigung mit der EU, hat aber keinen gangbaren Weg anzubieten.
Andernfalls gelobt er, am 31. Oktober auch ohne Einigung auszutreten. No Deal. Das Unterhaus hat die Absicht, dies zu verhindern. Aber: Niemand nimmt Boris wirklich beim Wort. Nicht nur, weil er mehrmals beim Lügen ertappt wurde, nicht nur, weil er seine Ehefrauen seriell betrogen hat, nein, Boris wird tun, was Boris nützt. Er kann Kehrtwendungen, die andere Leute den Kragen kosten, mit einem Scherz und einem schelmischen Grinsen verkaufen. Jedenfalls bisher.