Die Ankündigung kam überraschend. Am Volkskongress in Peking gab die chinesische Regierung bekannt, dass sie ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong plane. Man wolle in der früheren britischen Kronkolonie eigene nationale Sicherheitsorgane aufstellen und einsetzen dürfen. China riskiere mit diesem Schritt viel, meint China-Expertin Mareike Ohlberg.
SRF News: Ist das Prinzip «Ein Land – zwei Systeme», das die Beziehungen zwischen Chinas Festland und der früheren Kronkolonie regelt, mit dem neuen Sicherheitsgesetz am Ende?
Mareike Ohlberg: Im schlimmsten Fall, ja. Also, wenn die rechtliche Autonomie in Hongkong komplett ausgehöhlt wird. Wenn es für die Zivilgesellschaft unmöglich sein wird, sich gegen Übergriffe auf dem Festland zu organisieren, weil die riesige Gefahr droht, dass man sonst möglicherweise für vermeintliche Verbrechen mit vage formulierten Strafbestandteilen auf das Festland entführt oder geschickt wird. Dann hätte das Sicherheitsgesetz auf jeden Fall eine riesige Auswirkung auf die Autonomie in Hongkong.
Die chinesische Regierung ist sich der Konsequenzen dieses Schrittes bewusst.
In den letzten Jahren wurde mehrmals das Ende dieses Prinzips verkündet. In diesem Fall, wenn es tatsächlich so kommt wie angekündigt, halte ich die Behauptung für gerechtfertigt.
Warum unternimmt der Volkskongress gerade jetzt diesen Schritt?
Die chinesische Regierung ist sich der Konsequenzen dieses Schrittes bewusst. Das Land ist sich bewusst, dass es durch einen solchen Schritt Hongkong mit seinem Sonderstatus auch in seiner wirtschaftlichen Bedeutung letztlich verlieren wird. In der aktuellen Zeit um Covid-19 wendet sich China immer stärker nach innen. Und da ist man letztlich bereit, Hongkong aufs Spiel zu setzen.
Die Kommunistische Partei Chinas nimmt also ziemlich viel in Kauf?
Hongkong spielt für Festlandchina wirtschaftlich gesehen eine wichtige Rolle. Viel Geld läuft über Hongkong, auch für chinesische Firmen, welche Investments brauchen. Darum hat sich China bis jetzt eher zurückgehalten. Der Hongkonger Sonderstatus beruht auch darauf, dass Länder im Ausland diesen Sonderstatus anerkennen und Hongkong bestimmte Bedingungen gewähren.
Wenn aber von festlandchinesischer Seite zu hart durchgegriffen wird und das Ausland, wie in den USA bereits angedeutet wurde, der Meinung ist, Hongkong habe keinen Sonderstatus mehr, könnten diese Sonderkonditionen auch zurückgezogen werden. Das hätte dann wiederum starke wirtschaftliche Folgen auch für Festlandchina und für die Kommunistische Partei.
Wie wird dieser Streit enden?
Kurzfristig wird die Bewegung nochmals aufflammen. Man wird versuchen, sich Hilfe aus dem Ausland zu holen. Meine eigene Einschätzung derzeit ist aber pessimistisch. Die Kommunistische Partei Chinas hat sich entschlossen, Hongkong aufs Spiel zu setzen. Man wird dagegen vorgehen in Hongkong.
Europa könnte auch den Druck auf Grossbritannien erhöhen, das wegen seiner historischen Verantwortung noch ganz andere Möglichkeiten hat.
Aber ich sehe die Erfolgschancen als relativ gering. Man muss sich darauf einstellen, dass Hongkongs Sonderstatus vorbei ist. Europa muss sich überlegen, was für die Hongkonger Bevölkerung getan werden kann, um die Situation weniger schlimm zu gestalten.
Welche Möglichkeiten gibt es da?
Es könnte beispielsweise einführt werden, dass alle mit einem britischen Pass vereinfachte Verfahren bekämen, um in Europa auch langfristige Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Europa könnte auch den Druck auf Grossbritannien erhöhen, das wegen seiner historischen Verantwortung noch ganz andere Möglichkeiten hat.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.