Das Wichtigste in Kürze
- Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat sich mit knapper Mehrheit für eine Reform des Urheberrechts ausgesprochen.
- Mit der Reform will die EU die Rechte der Urheber im Internet besser schützen. Zwei Massnahmen sorgen für heftige Kritik: das Leistungsschutzrecht und Upload-Filter.
- Das Leistungsschutzrecht soll ausschliesslich den Verlagen das Recht geben, ihre Inhalte zu kommerziellen Zwecken online zu stellen.
- Neu sollen Online-Plattformen für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer verantwortlich sein. Solche zu verhindern wird nur mit automatisierten Upload-Filtern möglich sein. Kritiker bezeichnen diese Filter als intransparente Zensurmaschinen.
- Indirekt kann die Reform auch Schweizer Nutzer betreffen.
In einer geheimen Abstimmung hat sich der Rechtsausschuss des EU-Parlaments heute mit knapper Mehrheit für eine Reform des Urheberrechts ausgesprochen. Voraussichtlich im Juli wird das gesamte EU-Parlament über die Vorlage abstimmen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass es dem Entscheid des Rechtsausschusses folgen wird. Die endgültige Entscheidung über das Gesetz wird für Ende Jahr erwartet, wenn die Verhandler des Parlamentes, der Kommission und des Rates ihre sogenannten Trilog-Verhandlungen abschliessen.
Mit der Reform will die EU die Urheberrechte im Internet besser schützen. Dagegen wehrt sich kaum jemand. Doch Artikel 11 und Artikel 13 des Vorschlags ebnen den Weg für zwei höchst umstrittene Massnahmen: Das Leistungsschutzrecht und Upload-Filter. Zusammen, so die Angst der Kritikerinnen und Kritiker, könnten sie das Ende des offenen Internets bedeuten.
Lizenzgebühren für Textausschnitte
Mit dem Leistungsschutzrecht sollen die Interessen der Verlage gegenüber Plattformen wie Google oder Facebook besser geschützt werden. Demnach sollen nur die Verlage das Recht haben, ihre Inhalte zu kommerziellen Zwecken online zu stellen. Sobald eine Suchmaschine, ein Aggregator oder ein soziales Netzwerk einen Artikel nicht nur verlinkt, sondern auch Teile des Inhalts anzeigt (zum Beispiel eine Überschrift), sind Lizenzgebühren fällig.
Deutschland und Spanien kennen bereits ein solches Leistungsschutzrecht. Doch in beiden Ländern gilt es als gescheitert. In Deutschland auch deshalb, weil die meisten Verlage Google eine Gratislizenz erteilt haben – aus Angst, Klicks auf die eigenen Webseiten und damit Werbeeinnahmen zu verlieren. Auch eine von der EU in Auftrag gegebene Studie kam zum Schluss, dass letztlich alle davon profitieren, wenn Textausschnitte frei geteilt werden können.
Verlage im Kampf gegen Online-Riesen stärken
In den letzten Wochen haben sich darum Wirtschafts-, Berufs-, Wissenschafts- und Bürgerrechtsverbände gegen die europaweite Einführung des Leistungsschutzrechtes ausgesprochen. Sie befürchten, dass durch eine solche Massnahme das Informationsangebot im Internet eingeschränkt wird. Nicht zuletzt, weil Factchecking-Portale oder die Wikipedia keine Presseartikel mehr zitieren könnten. Allerdings: Für Bildungszwecke und die wissenschaftliche Erschliessung von Texten sollen Ausnahmen gemacht werden.
Zu den Befürwortern des Artikels gehören vor allem die grossen Verlage. Sie hoffen auf eine bessere Position im Kampf mit den Onlinediensten, wenn das Leistungsschutzrecht nicht nur in Deutschland und Spanien, sondern in allen 28 EU-Mitgliedsländern gilt. Kleinere Verleger dagegen könnten zu den Verlierern zählen, wenn weniger Menschen auf Links zu ihren Inhalten klicken.
Plattformen neu für ihre Nutzer verantwortlich
Noch umstrittener ist der Artikel 13 des neuen EU-Urheberrechts, der Plattformbetreiber dazu zwingt, die Inhalte ihrer Nutzerinnen und Nutzer genau zu kontrollieren. Internet-Grössen wie Tim Berners-Lee, Vint Cerf, Jimmy Wales oder Bruce Schneier bezeichnen ihn in einem offenen Brief gar als eine «Bedrohung für das Internet». Sie schreiben, mit der geplanten Verordnung vollziehe die EU «einen beispiellosen Schritt hin zur Umwandlung des Internets von einer offenen Plattform für Austausch und Innovation in ein Instrument zur automatisierten Überwachung und Kontrolle seiner Nutzer».
Bürgerrechtsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation und selbst der UNO-Sonderberichterstatter für die Meinungsfreiheit stellen sich ebenfalls gegen die geplante Massnahme. Während sie einige Probleme löse, schaffe sie zugleich viel grössere. Selbst die deutsche Bundesregierung hat sich vor der Abstimmung gegen den Artikel ausgesprochen, obwohl der Vorschlag für die Reform des Urheberrechts auf EU-Kommissar Günther Oettinger zurückgeht.
Upload-Filter gegen urheberrechtlich geschützte Inhalte
Mit Artikel 13 sind Onlineplattformen neu für allfällige Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzerinnen und Nutzer verantwortlich. Um nicht gegen das Urheberrecht zu verstossen, müssen sie Massnahmen treffen, um urheberrechtlich geschütztes Material gar nicht erst zugänglich zu machen.
Im vom EU-Rechtsausschuss angenommenen Vorschlag ist in diesem Zusammenhang von «wirksamen Inhaltserkennungstechniken» die Rede, die zum Einsatz kommen können. Angesichts der gewaltigen Menge von Material, das jeden Tag auf die Online-Plattformen hochgeladen wird, kann diese Erkennung nur automatisiert verlaufen – mittels sogenannter Upload-Filter. Das sind Algorithmen, die Inhalte schon beim Hochladen überprüfen und urheberrechtlich geschütztes Material löschen.
Algorithmus ohne Feingefühl
Unter dem Namen Content ID setzt zum Beispiel Google auf seiner Videoplattform YouTube seit einigen Jahren einen solchen Filter ein. Wie die Kritikerinnen und Kritiker im Vorfeld der Abstimmung bemängelten, sind solche Filter aber weit davon entfernt, perfekt zu funktionieren. Das Beispiel YouTube zeigt, dass der Algorithmus mit seiner Einschätzung oft danebenliegt und unproblematisches Material löscht, während urheberrechtlich geschützte Inhalte trotzdem ihren Weg auf die Plattform finden.
Ein Algorithmus ist zum Beispiel nicht in der Lage, zwischen einer tatsächlichen Verletzung des Urheberrechts und einem blossen Zitat oder der humoristischen Verwendung von urheberrechtlich geschützten Inhalten zu unterscheiden. Das könnte das Ende für Memes bedeuten. Schliesslich bauen viele der schier endlos kopierten und variierten Grundmuster auf dem Material von Bildagenturen oder anderer Rechteinhaber auf.
Eine intransparente Zensurmaschine?
Im Fall der von der EU vorgesehenen Auflagen stellt sich ausserdem die viel grundsätzlichere Frage, wie die Plattformen überhaupt wissen sollen, welches Material geschützt ist und welches nicht. Was bei YouTube allein mit Bild und Ton nicht richtig klappt wird noch viel schwieriger, wenn es wie in Artikel 13 vorgesehen auch für Fotos, Zeichnungen, Texte oder Computer-Code gelten soll. Um auf Nummer sicher zu gehen, werden die Plattform-Betreiber wohl lieber zu viel als zu wenig löschen.
Die Gegnerinnen und Gegner der Urheberrechts-Reform warnen deshalb vor einer intransparenten «Zensurmaschine». Und sie fürchten, dass die Upload-Filter missbraucht werden könnten, um mittels fiktiver Urheberrechts-Ansprüche nicht genehmes Material aus dem Internet fernzuhalten. Denn für das ungerechtfertigte Einreichen solcher Ansprüche sieht die Reform keine Strafe vor. Gegen derartigen Missbrauch vorzugehen ist dagegen sehr aufwändig.
Daneben sind Entwicklung und Unterhalt eines Upload-Filters ausgesprochen teuer. Google gab 2016 an, bereits 60 Millionen Dollar in die Content ID investiert zu haben. Solche Summen können nur grosse Firmen aufwenden. Deshalb sollen Kleinstunternehmen von den Filterauflagen ausgenommen werden.
Von Seiten der EU heisst es, dass mit der Reform nur die Rechte der Urheber besser geschützt und kreative Arbeiten gerecht vergütet werden sollen. Die Meinungsfreiheit im Internet sei dadurch keineswegs beeinträchtigt.
Urheberrecht wird auch in der Schweiz modernisiert
Was die neuen EU-Regeln für die Schweiz bedeuten ist noch nicht abzusehen. Rein technisch könnten Online-Plattformen und Verleger Ausnahmen für unser Land machen. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung, die seit Ende Mai angewendet wird, hat aber gezeigt, dass es für die Unternehmen mit weniger Aufwand verbunden ist, alle ihre Kunden in Europa gleich zu behandeln. Es kann gut sein, dass auch im Fall des Urheberrechts so vorgegangen wird – diesmal mit negativen Auswirkungen für die Schweizer Nutzerinnen und Nutzer.
Unabhängig vom Entscheid der EU ist auch in der Schweiz ist eine Modernisierung des Urheberrechts vorgesehen. Im November 2017 hat der Bundesrat dafür seine Botschaft zusammen mit dem Gesetzesentwurf für die parlamentarische Beratung an den National- und Ständerat überwiesen. Seine Vorschläge gehen aber weniger weit als die Pläne der EU. Lizenzgebühren sind zum Beispiel keine vorgesehen.
Der Verband Schweizer Medien, die Branchenorganisation der privaten schweizerischen Medienunternehmen, erklärt auf Anfrage, er werde die von der EU geplanten Massnahmen prüfen. Sollten diese im Sinne seiner Mitglieder sein, werde er sich auch in der Schweiz um die Schaffung eines ähnlichen Rechts bemühen.
Nur die schwarzen Schafe im Visier
Mit der «Stay-down»-Pflicht sieht die geplante Modernisierung des Schweizer Urheberrechts auch schon eine Art Upload-Filter vor: Hosting-Provider sollen künftig dafür sorgen, dass urheberrechtsverletzende Inhalte nicht wieder auf ihre Plattformen geladen werden. Im Gegensatz zur EU betrifft das aber nur Inhalte, die auf Hinweis der Rechteinhaber schon einmal entfernt werden mussten. Und die Pflicht gilt nur für Hosting-Provider, die «durch ihre technische Funktionsweise oder wirtschaftliche Ausrichtung Urheberrechtsverletzungen begünstigen».
«Gemeint sind also nur die schwarzen Schafe unter den Anbietern, die Piraterie bewusst fördern», erklärt Nicole Emmenegger vom Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer, der sich für die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer einsetzt. «Meiner Meinung nach ist die Schweizer Lösung die vernünftigere», stellt Emmenegger darum fest. Und ergänzt, eigentlich sei die Debatte um die Internet-Piraterie sowieso von gestern: «Heute kann man dank Streaming-Angeboten leicht an die gewünschten Inhalte kommen – ohne Gefahr, sich bei einem Download einen Virus einzufangen.»