Ein russisches Gericht hat das Strafmass für den Menschenrechtler Jurij Dmitriev erneut verschärft, berichtet die Agentur Interfax.
Neu muss der 65 Jahre alte Historiker 15 Jahre in ein Straflager, wie eine Richterin in der Stadt Petrosawodsk im Norden des Landes geurteilt hat.
Vor mehr als einem Jahr war Dmitriev zu 13 Jahren Haft verurteilt worden – ein früheres Urteil gegen ihn hatte dreieinhalb Jahre Haft vorgesehen.
Jurij Dmitriev hatte für die renommierte Menschenrechtsorganisation Memorial gearbeitet, gegen die Russlands Justiz derzeit vorgeht. Der Historiker machte Verbrechen unter Sowjetdiktator Josef Stalin öffentlich und sich selbst damit Feinde im Machtapparat.
Der Fall wurde mehrfach vor Gericht neu aufgerollt. Diesmal ging es erneut um den Vorwurf, Dmitriev habe seine Adoptivtochter unbekleidet fotografiert und sexuell missbraucht. Ausserdem soll er illegal einen Teil einer Waffe besessen haben.
Korrespondent Nauer: «Politische Abrechnung mit Dmitriev»
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SRF-Korrespondent David Nauer hält den Prozess gegen den russischen Historiker für politisch motiviert. Jurij Dmitriev sei wegen der Vorwürfe bereits einmal belangt und dann freigesprochen worden. Daraufhin sei er aber erneut festgenommen worden. «Man bekommt den Eindruck, dass man ihn unbedingt hinter Gittern haben will.» Zudem seien auch die angeblichen Beweise gegen Dmitriev «höchst dürftig». Deswegen würden sich in Russland auch tausende Menschen für den Historiker einsetzen – darunter auch Schriftsteller, Musiker und Menschenrechtler. «Sie alle sind – wie ich – überzeugt, dass dieses Urteil nichts mit Kinderpornografie zu tun hat, sondern eher eine politische Abrechnung ist.»
Das Ziel dieser politischen Abrechnung dürfte sein, die Gulag-Forschung zu diffamieren, die der Historiker unermüdlich vorangetrieben hat. «Er hat in den nordrussischen Wäldern auch Massengräber gesucht. Orte, an denen der sowjetische Staat eigene Bürgerinnen und Bürger umgebracht und verscharrt hat», so Nauer. «Er hat dunkle Seiten der russischen Geschichte ans Licht gezerrt. Das ist wohl der Grund, warum er jetzt bestraft wird.»
Im Übrigen sei Dmitriev auch nicht der einzige russische Historiker, der unter Repression zu leiden habe. Der russische Staat versuche derzeit an ganz verschiedenen Fronten, die Geschichte im eigenen Sinne umzuschreiben – von Schulen über Museen bis hin zu den Medien: «Die Stossrichtung ist immer die gleiche: Die Verbrechen des Staates sollen möglichst unter den Teppich gekehrt werden, die Heldentaten umso mehr gefeiert.» Und tatsächlich habe sich der Blick vieler Russinnen und Russen auf die eigene Geschichte geändert, schliesst Nauer. «Inzwischen hat mehr als die Hälfte der Menschen im Land eine sehr positive Meinung von Stalin.»
Der Historiker, der in der Vergangenheit auch von einem Gericht freigesprochen worden war, weist die Vorwürfe zurück. Der Prozess wird international kritisiert: Das Verfahren gilt als politische Inszenierung, um Jurij Dmitriev an weiteren Forschungen zu hindern.
Auch Memorial teilte erneut mit, der 65-Jährige sei «völlig unschuldig». Die EU hatte nach dem Urteil im September 2020 die sofortige Freilassung des Bürgerrechtlers gefordert.
SRF 4 News, Info 3, 27.12.2021, 12:00 Uhr
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sda/dpa/fise;heen
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«Memorial» droht Schliessung
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