Innerhalb von sechs Wochen nach den Wahlen hat es Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nicht geschafft, eine neue Regierung zu bilden. Es kommt zum zweiten Mal in diesem Jahr zu Neuwahlen. Dass es so weit kommen musste, liegt an «König Bibi»: Er klammert sich an die Macht.
Ein angeschlagener Premierminister sei erpressbar. «Die kleinen rechten und religiösen Parteien werden Netanjahu erpressen», sagte Gayil Talshir nach den Wahlen im April. Die Politologie-Professorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Autorin eines Buches über die Ideologie der Netanjahu-Regierungen, sollte Recht behalten.
Was Talshir meint: Mit einem Premierminister, dem wegen Korruptionsvorwürfen ein Gerichtsverfahren droht, kann man machen, was man will. Besonders mit einem, der um jeden Preis an der Macht bleiben will.
«König Bibi», wie ihn die Israeli oft nennen, will verhindern, dass man ihn vor Gericht stellt. Und er will mit jenen Parteien eine Koalition eingehen, die ihm helfen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Macht der kleinen Parteien
Die ultraorthodoxen und rechten Kleinparteien wollen einen Premierminister Netanjahu. Sie werden ihm zur Immunität vor Strafverfolgung helfen, sei es mit einem entsprechenden Gesetz oder mit der Ausschaltung des Höchsten Gerichts durch das Parlament.
Nur helfen diese kleinen Parteien dem Premierminister natürlich nicht umsonst. Die Ultraorthodoxen wollen auf keinen Fall eine Lockerung der Sabbat-Ruhe oder fordern die Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. Und die Rechten wollen keine Zugeständnisse an die Palästinenser, dafür mehr an die Siedler.
Netanjahu konnte sich offenbar mit allen einigen: Seine Koalition der Rechten war schon fast komplett.
Alle für «Bibi» – ausser Lieberman
Fünf Sitze hatte Avigdor Lieberman mit seiner Partei Jisra’el Beitenu Netanjahu zu bieten. Die fünf Sitze braucht der Premierminister unbedingt, um eine Mehrheit von 65 Sitzen in der Knesset zu haben. Die wollte Lieberman teuer verkaufen. Sein Preis: Kein Kompromiss bei einem Gesetz, das die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe einführen soll. Obwohl sich die Ultraorthodoxen kompromissbereit gezeigt hatten.
Dieser Preis war Netanjahu zu hoch. Er trat vor die Medien und verkündete, Lieberman wolle die Koalition torpedieren. Ein Fehler, denn einmal öffentlich, verhärteten sich die Fronten des Machtkampfs.
Dieser wird die israelische Bevölkerung teuer zu stehen kommen. Neuwahlen kosten umgerechnet rund 130 Millionen Franken, die im Staatshaushalt nicht budgetiert sind. Kürzungen bei staatlichen Dienstleistungen werden die Folge sein. Ein hoher Preis für die Erpressbarkeit des Premierministers.
Israels Staatspräsident Reuven Rivlin hätte einem anderen den Auftrag zur Regierungsbildung geben können. Das fürchtete Netanjahu - er wäre dann nicht mehr Premierminister. Er gelangte deshalb ans Parlament, das mit seiner Auflösung dem Präsidenten diese Möglichkeit nahm.
Es macht keinen Sinn
Das Parlament hat nun für seine Auflösung und für Neuwahlen gestimmt. Der Präsident kann damit keinen anderen mit der Regierungsbildung beauftragen. Gemäss Umfragen wird Netanjahu mit seiner Likud-Partei auch die nächsten Wahlen gewinnen. Die Kräfteverhältnisse im Parlament werden annährend gleichbleiben.
Was machen also Neuwahlen für einen Sinn? Keinen – ausser dass Benjamin Netanjahu voraussichtlich weiter im Amt bleiben kann. Das Ringen um eine Regierung geht dann wieder von vorne los. Die Stimmberechtigten könnten dies verhindern. Aber offenbar will das eine Mehrheit nicht.