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Nomaden in der Mongolei Wie der Kaschmirpulli der Steppe schadet

Weil immer mehr Leute Kaschmirpullover und -schals wollen, droht in der Mongolei die Steppe zu verwüsten.

Mitten in den grün-braunen Hügeln der mongolischen Steppe, weitab von fliessendem Wasser und Strom, steht Irtmatrs Jurte. Der 68-jährige Nomade hält Schafe, Pferde, Kühe und Kaschmirziegen. «Als ich 1995 in diese Region herkam, war das Gras so hoch, dass wir die Tiere darin nicht sehen konnten.»

Jurtenaufbau in der Steppe mit blauem Himmel.
Legende: Irtmatr und seine Jurte – mitten im Nirgendwo der mongolischen Steppe. SRF/Samuel Emch

Heute wächst das Gras nur wenige Zentimeter, bevor die nächste Tierherde vorbeizieht und das Weideland kahl frisst.

Mehr Tiere in der Steppe  

Die Anzahl der Weidetiere in der Mongolei hat sich seit den 1990er Jahren, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, vervierfacht. Unter der Kontrolle der UdSSR durften die Nomaden nur eine beschränkte Anzahl Tiere halten. Heute gibt es keine Beschränkungen mehr.

Herde von Ziegen auf einer grasbewachsenen Ebene mit Bergen im Hintergrund.
Legende: Die Kaschmirziegen von Irtmatr. Gemäss Zahlen der UNO gibt es mittlerweile knapp 30 Millionen der Ziegen in der Mongolei. Schafe gibt es gemäss offiziellen Zahlen mit gut 32 Millionen noch etwas mehr. Kühe werden knapp 5 Millionen gezählt, Pferde gut 4 Millionen – und Kamele 500'000. SRF/Samuel Emch

Pferde, Kamele, Kühe, Schafe und Kaschmirziegen sind die häufigsten Nutztiere. Insbesondere der Bestand der Kaschmirziege ist dabei rasant gewachsen. In diesem Jahrtausend von geschätzten sieben auf gegen 30 Millionen.

Ziegenhaar statt Schafswolle  

Das feine Zwischenhaar, welches die Ziegen vor allem in Winter unter ihrem Fell ansetzen und die Nomaden dann im Frühling herauskämmen, ist beliebt und wertvoll. In den letzten fünf bis sechs Jahren sei der Preis für die Faser stetig gestiegen, sagt Irtmatr: «130'000 Tugrik erhalte ich pro Kilogramm.»

Älterer Mann sitzt in Jurte, mehrere Personen im Hintergrund auf Sofa.
Legende: Für Irtmatr und seine Familie ist das Geschäft mit Kaschmir lukrativ. SRF/Samuel Emch.

Das sind umgerechnet rund 35 Franken. Der Preis für Schafswolle sei im Vergleich regelrecht zusammengebrochen. Dafür erhalte er lediglich noch 15 Rappen pro Kilogramm.

Über die Hälfte des Weidelands gefährdet  

Das lukrative Geschäft mit Kaschmir führt zur wachsenden Anzahl Ziegen. Unter dieser Entwicklung leiden die Weideflächen in der mongolischen Steppe, wo die Nomaden ihre Tiere frei weiden lassen.

Was ist Kaschmir?

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Kaschmir ist ein besonders feines Wollhaar, das aus dem Fell der Kaschmirziegen gewonnen wird. Die dünnen und feinfaserigen Haare werden insbesondere im März und April aus dem Fell der Ziegen gekämmt und vom rauen Fellhaar getrennt. Alternativ werden die Tiere geschoren und danach die Haare getrennt.

Da Kaschmir zu den feinsten Tierhaaren gehören, ist es eine der teuersten Naturfasern. Die Kaschmirziege kommt ursprünglich aus dem Himalaya und Pamir. Heute sind China und die Mongolei die grössten Kaschmirproduzenten weltweit.

Besonders weil die Kaschmirziege, anders als zum Beispiel Schafe oder Kühe, die Grasnarbe beschädigt beim Weiden. So wächst das Gras weniger schnell nach, wenn überhaupt.

Runder, kahler Fleck in grüner Wiese mit Bergen im Hintergrund.
Legende: Wo Irtmatr und seine Kaschmirziegen waren, wächst nachher kaum mehr Gras. SRF/Samuel Emch

Zusammen mit dem sich ändernden Klima wird die Steppe so langsam zu Wüste. Gemäss Schätzungen der UNO sind deshalb 57 Prozent des Weidelands in der Mongolei gefährdet.

Keine Übernutzung dank Absprache  

Das Problem ist längst erkannt. Lösungen bietet zum Beispiel die nationale Organisation für Weidenutzende Hirten in der Mongolei. Diese versucht, einen nationalen Standard für Nomaden zu etablieren.

Direktorin Burmaa Dashbai erklärt: «Wir gründen Weidenutzergruppen. Das bedeutet, dass 30 oder 40 Familien, die das gleiche Weidegebiet teilen, sich auf die Nutzung des Landes einigen und sich an gewisse Normen halten.»

Das Wichtigste sei die Vereinbarung über die Nutzung von Weideland. Die Nomadenfamilien einigen sich, wann wo Standorte gewechselt werden und wann sie wo verweilen. So soll der Übernutzung der Steppe vorgebeugt werden.

Pferde anstatt Töff in der Steppe  

Die Tiergesundheit und Zucht seien ein weiterer Teil des nationalen Standards. So gebe es Tierrassen, die für bestimmte Regionen nicht geeignet seien. Zudem soll die Lebensqualität der Tiere und damit die Qualität der tierischen Produkte erhöht werden. Gesündere Tiere und bessere Produkte garantierten den Nomadenfamilien ein besseres Einkommen.

«Wir versuchen, auch die traditionelle Art der Viehzucht zu unterstützen. Mit Pferden anstatt Motorrädern das Vieh zu hüten. Das ist besser für die Vegetation», sagt Direktorin Burmaa.

Zwei Jungen reiten auf Pferden auf einer Wiese.
Legende: Die traditionelle Art, das Vieh zu hüten, hilft den Familien auch bei der Zertifizierung der Produkte. SRF/Samuel Emch

Sobald alle Standards eingehalten werden, erhalten die Nomadenfamilien eine Zertifizierung für ihre Produkte.

Käufer wollen mehr als Nomaden liefern  

Beim Projekt, das ursprünglich von der Schweizer Entwicklungs­zusammenarbeit lanciert wurde, machen bereits 90'000 Familien mit. Dabei werde ein Gebiet abgedeckt, das mehr als fünfmal so gross ist wie die Schweiz.

Nomaden in der Mongolei

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Zwei Jurten in einer weiten Landschaft mit Motorrad und zwei Personen im Vordergrund.
Legende: SRF/Samuel Emch

25 bis 30 Prozent der Bevölkerung in der Mongolei sind Nomaden. In der Regel wechseln die Nomadenfamilien ihren Standort zwei bis vier Mal pro Jahr. Die Familien wohnen in weissen runden Zelten, die bei uns als Jurten bezeichnet werden. In der Mongolei werden die Zelte «Ger» genannt.

Die Nomaden halten meist Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen und Yaks und leben von den tierischen Produkten. Das Einkommen ist sehr tief. Gemäss UNO-Standards leben viele der Nomaden unter der Armutsgrenze.

Doch die Umsetzung der Standards dauere. Schon nur die Familien, die in der Steppe verteilt lebten, zusammenzubringen, sei aufwändig. Dennoch ist die Direktorin der Organisation zuversichtlich: «Es gibt eine grosse Nachfrage bei den Käufern. Sie wollen mehr zertifizierte Rohstoffe aus Familienbetrieben haben. Aber die Umsetzung geht wirklich langsam voran.»

Mehr einheimische Produkte  

Nomade Irtmatr gehört noch keiner solchen Weideland-Gruppe an. Doch auch er findet, die Nomaden, die ihre Jurten jeweils kilometerweit voneinander aufbauen, müssten besser zusammenarbeiten: «Wir Nomaden müssen mehr wie eine Gemeinschaft leben. Das würde das Weidelandproblem lösen.»

Nachtansicht einer beleuchteten Strasse mit hohen Gebäuden.
Legende: Mit 2500 Quadratmetern in Ulaanbaatar offiziell das grösste Kaschmir-Geschäft der Welt: «Gobi Cashmere». Pro Jahr werden in der Hauptstadt der Mongolei geschätzte 1200 Tonnen roher Kaschmir verarbeitet. SRF/Samuel Emch

Zugleich hofft er aber auch, dass sich der Markt verändert. Heute wird der grösste Teil des gewonnenen Kaschmirs nach China exportiert. Der Nomade wünscht sich, dass mehr vom Rohstoff in der Mongolei selbst verarbeitet wird.

Nachfrage verlockt zu Massenproduktion  

Vor allem die hochwertigen Fasern sollten in der Mongolei verarbeitet werden, meint Irtmatr. Selbst hat er lediglich 70 Kaschmirziegen. Weniger Tiere sei besser für die Qualität: «Die Tiere können mehr fressen, werden dicker und geben bessere Kaschmirfasern.»

Sein Nachbar hätte 1000 Ziegen gehabt. Die Qualität der Kaschmirhaare sei aber schlechter gewesen und im letzten harten Winter seien die meisten der Tiere gestorben.

Zwei Personen reiten auf Pferden durch hügelige Landschaft.
Legende: Das Land ist weit – doch die Steppe wird Stück für Stück kleiner. SRF/Samuel Emch

Mehr Qualität anstatt Quantität beim Kaschmir. Das wäre das Ziel. Dies sehen auch viele mongolische Nomaden so. Doch die grosse Nachfrage ist oft zu verlockend, um Masse zu produzieren. Mit entsprechenden Auswirkungen auf die mongolische Steppenlandschaft.

Rendez-vous, 27.12.2024, 12:30 Uhr

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