Mitten in den grün-braunen Hügeln der mongolischen Steppe, weitab von fliessendem Wasser und Strom, steht Irtmatrs Jurte. Der 68-jährige Nomade hält Schafe, Pferde, Kühe und Kaschmirziegen. «Als ich 1995 in diese Region herkam, war das Gras so hoch, dass wir die Tiere darin nicht sehen konnten.»
Heute wächst das Gras nur wenige Zentimeter, bevor die nächste Tierherde vorbeizieht und das Weideland kahl frisst.
Mehr Tiere in der Steppe
Die Anzahl der Weidetiere in der Mongolei hat sich seit den 1990er Jahren, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, vervierfacht. Unter der Kontrolle der UdSSR durften die Nomaden nur eine beschränkte Anzahl Tiere halten. Heute gibt es keine Beschränkungen mehr.
Pferde, Kamele, Kühe, Schafe und Kaschmirziegen sind die häufigsten Nutztiere. Insbesondere der Bestand der Kaschmirziege ist dabei rasant gewachsen. In diesem Jahrtausend von geschätzten sieben auf gegen 30 Millionen.
Ziegenhaar statt Schafswolle
Das feine Zwischenhaar, welches die Ziegen vor allem in Winter unter ihrem Fell ansetzen und die Nomaden dann im Frühling herauskämmen, ist beliebt und wertvoll. In den letzten fünf bis sechs Jahren sei der Preis für die Faser stetig gestiegen, sagt Irtmatr: «130'000 Tugrik erhalte ich pro Kilogramm.»
Das sind umgerechnet rund 35 Franken. Der Preis für Schafswolle sei im Vergleich regelrecht zusammengebrochen. Dafür erhalte er lediglich noch 15 Rappen pro Kilogramm.
Über die Hälfte des Weidelands gefährdet
Das lukrative Geschäft mit Kaschmir führt zur wachsenden Anzahl Ziegen. Unter dieser Entwicklung leiden die Weideflächen in der mongolischen Steppe, wo die Nomaden ihre Tiere frei weiden lassen.
Besonders weil die Kaschmirziege, anders als zum Beispiel Schafe oder Kühe, die Grasnarbe beschädigt beim Weiden. So wächst das Gras weniger schnell nach, wenn überhaupt.
Zusammen mit dem sich ändernden Klima wird die Steppe so langsam zu Wüste. Gemäss Schätzungen der UNO sind deshalb 57 Prozent des Weidelands in der Mongolei gefährdet.
Keine Übernutzung dank Absprache
Das Problem ist längst erkannt. Lösungen bietet zum Beispiel die nationale Organisation für Weidenutzende Hirten in der Mongolei. Diese versucht, einen nationalen Standard für Nomaden zu etablieren.
Direktorin Burmaa Dashbai erklärt: «Wir gründen Weidenutzergruppen. Das bedeutet, dass 30 oder 40 Familien, die das gleiche Weidegebiet teilen, sich auf die Nutzung des Landes einigen und sich an gewisse Normen halten.»
Das Wichtigste sei die Vereinbarung über die Nutzung von Weideland. Die Nomadenfamilien einigen sich, wann wo Standorte gewechselt werden und wann sie wo verweilen. So soll der Übernutzung der Steppe vorgebeugt werden.
Pferde anstatt Töff in der Steppe
Die Tiergesundheit und Zucht seien ein weiterer Teil des nationalen Standards. So gebe es Tierrassen, die für bestimmte Regionen nicht geeignet seien. Zudem soll die Lebensqualität der Tiere und damit die Qualität der tierischen Produkte erhöht werden. Gesündere Tiere und bessere Produkte garantierten den Nomadenfamilien ein besseres Einkommen.
«Wir versuchen, auch die traditionelle Art der Viehzucht zu unterstützen. Mit Pferden anstatt Motorrädern das Vieh zu hüten. Das ist besser für die Vegetation», sagt Direktorin Burmaa.
Sobald alle Standards eingehalten werden, erhalten die Nomadenfamilien eine Zertifizierung für ihre Produkte.
Käufer wollen mehr als Nomaden liefern
Beim Projekt, das ursprünglich von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit lanciert wurde, machen bereits 90'000 Familien mit. Dabei werde ein Gebiet abgedeckt, das mehr als fünfmal so gross ist wie die Schweiz.
Doch die Umsetzung der Standards dauere. Schon nur die Familien, die in der Steppe verteilt lebten, zusammenzubringen, sei aufwändig. Dennoch ist die Direktorin der Organisation zuversichtlich: «Es gibt eine grosse Nachfrage bei den Käufern. Sie wollen mehr zertifizierte Rohstoffe aus Familienbetrieben haben. Aber die Umsetzung geht wirklich langsam voran.»
Mehr einheimische Produkte
Nomade Irtmatr gehört noch keiner solchen Weideland-Gruppe an. Doch auch er findet, die Nomaden, die ihre Jurten jeweils kilometerweit voneinander aufbauen, müssten besser zusammenarbeiten: «Wir Nomaden müssen mehr wie eine Gemeinschaft leben. Das würde das Weidelandproblem lösen.»
Zugleich hofft er aber auch, dass sich der Markt verändert. Heute wird der grösste Teil des gewonnenen Kaschmirs nach China exportiert. Der Nomade wünscht sich, dass mehr vom Rohstoff in der Mongolei selbst verarbeitet wird.
Nachfrage verlockt zu Massenproduktion
Vor allem die hochwertigen Fasern sollten in der Mongolei verarbeitet werden, meint Irtmatr. Selbst hat er lediglich 70 Kaschmirziegen. Weniger Tiere sei besser für die Qualität: «Die Tiere können mehr fressen, werden dicker und geben bessere Kaschmirfasern.»
Sein Nachbar hätte 1000 Ziegen gehabt. Die Qualität der Kaschmirhaare sei aber schlechter gewesen und im letzten harten Winter seien die meisten der Tiere gestorben.
Mehr Qualität anstatt Quantität beim Kaschmir. Das wäre das Ziel. Dies sehen auch viele mongolische Nomaden so. Doch die grosse Nachfrage ist oft zu verlockend, um Masse zu produzieren. Mit entsprechenden Auswirkungen auf die mongolische Steppenlandschaft.