Amy Coney Barrett gilt über die Parteigrenzen hinweg als hervorragende Juristin und integre Persönlichkeit. Die Mutter von sieben Kindern ist strenggläubige Katholikin und war Wunschkandidatin von Konservativen und Evangelikalen, vor allem wegen ihrer persönlichen Haltung in der Abtreibungsfrage.
Bereits in gut zwei Wochen könnte Barrett im Senat angehört werden, und damit wäre eine abschliessende Abstimmung im Senat noch vor dem Wahltag am 3. November möglich. Mit diesem eiligen Vorgehen werden zwar einige Republikaner wortbrüchig, aber ungesetzlich ist ihr Vorgehen nicht. Auch wenn die Demokraten lautstark protestieren, können sie die Bestätigung Barretts im Senat wohl nicht mehr verhindern, denn die Republikaner verfügen in der kleinen Kammer über eine knappe Mehrheit.
Präsident Trump kann der eigenen Basis deshalb kurz vor den Wahlen noch unverhofft einen lang gehegten Wunsch erfüllen. Lange schon träumten Konservative und Evangelikale von einer soliden konservativen Mehrheit im Obersten Gericht. Denn sie sehen darin eine Chance, frühere Entscheidungen des Gerichts zu gesellschaftspolitischen Fragen abzuschwächen oder gar rückgängig zu machen. Entscheidungen wie «Roe versus Wade», die höchstrichterliche Legalisierung von Abtreibung, oder die Zulassung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sind seit Jahren im Visier christlich-konservativer Kreise.
Konservative Übermacht im Supreme Court
Mit der erst 48-jährigen Amy Barrett rückt das Oberste Gericht vermutlich für längere Zeit klar nach rechts. Sechs konservative stehen dann drei liberal gesinnten Richterinnen und Richtern gegenüber. Die Auswirkungen der neuen Zusammensetzung könnten schon bald spürbar werden.
Zu den ersten Geschäften des neu zusammen gesetzten Supreme Courts dürften Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang der Präsidentschaftswahl gehören. Im November befassen sich die obersten Richterinnen zudem mit der Zukunft des Krankenversicherungsgesetzes Obamacare. Es ist deshalb von einem heftig geführten Bestätigungsverfahren im Senat auszugehen.
Folgen für Präsidentenwahl noch ungewiss
Zu befürchten ist, dass das Ansehen des Supreme Courts als unabhängige, gleichberechtigte Instanz Schaden nimmt, wenn er zunehmend als parteipolitisches Machtinstrument wahrgenommen wird. Allerdings haben die obersten Richter – vor allem der konservative vorsitzende Richter John Roberts – diesen Sommer mit einigen Urteilen bewiesen, dass sie nicht bereit sind, sich dem politischen Druck des Präsidenten oder der Parteien zu unterwerfen.
Unklar ist, wie stark sich die Berufung von Amy Barrett auf die kommenden Wahlen auswirken wird. Einerseits erhoffen sich beide Parteien einen Mobilisierungseffekt bei der eigenen Basis für die Präsidentschaftswahl. Andererseits droht nun mindestens zwei republikanischen Senatoren die Abwahl in Bundesstaaten mit demokratischer Mehrheit.