Die Regierung von Premier Boris Johnson präsentierte heute im Unterhaus ihr seit längerem erwartetes Binnenmarkt-Gesetz, das den Handel und Warenverkehr mit Nordirland vereinfachen soll. So sollen gewisse Kontrollen wegfallen, wo gemäss Brexit-Einigung eigentlich kontrolliert werden müsste, wenn zwischen Nordirland- und dem EU-Mitglied Irland keine harte EU-Aussengrenze entstehen soll.
«Der Vorschlag kommt diplomatisch und freundlich daher, ist aber klar eine einseitige Umformulierung des Nordirland-Protokolls», stellt Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser fest.
Die grüne und die rote Linie
So soll es künftig auch in Nordirland – ähnlich wie bei der Ankunft auf Flughäfen – einen grünen und einen roten Importkanal für Waren aus Grossbritannien geben: Was durch die grüne Pforte kommt, ist für den nordirischen Markt bestimmt und wird nicht mehr kontrolliert.
Waren für den Weiterexport in die irische Republik und damit in den EU-Binnenmarkt sollen dagegen in einem roten Kanal nach unterschiedlichen Richtlinien kontrolliert werden: Ein für den Export bestimmtes Suppenhuhn etwa muss laut Wülser wie bisher die EU-Richtlinien erfüllen. Landet das Huhn in einem nordirischen Topf, gelten künftig britische Lebensmittelvorschriften.
Bei Streitfragen soll zudem neu nicht mehr der Europäische Gerichtshof zuständig sein, sondern ein unabhängiges Schiedsgericht. London will sich auch freie Hand bei Regelungen zur Mehrwertsteuer geben.
Gegen Brexit-Regeln
Mit dem Vorschlag bricht die Regierung von Johnson eine Abmachung mit der EU, die eine Zollgrenze in der Irischen See vorsieht. Die Regierung macht geltend, dass das Nordirland-Protokoll den Frieden in der ehemaligen Unruheprovinz bedrohe. Die festgelegte Warengrenze ist insbesondere den pro-britischen Unionisten ein Dorn im Auge, sehe sie sich doch vom Mutterland abgeschnitten. Die politische Stabilität sei deshalb höher zu gewichten als die buchstabengetreue Einhaltung des Protokolls, findet die Regierung.
«Wir sind weiterhin offen für Gespräche mit der EU», erklärte Aussenministerin Liz Truss im Unterhaus. Fortschritte könne es aber nur geben, wenn Brüssel Änderungen am Nordirland-Protokoll akzeptiere. Bisher sei das nicht der Fall.
Für Beobachter sei schon immer klar gewesen, dass Nordirland eine Sollbruchstelle des Brexit darstelle, sagt Wülser: Trotzdem wurde das Protokoll damals unterschrieben in der Annahme, es lasse sich später noch korrigieren. Daran ist man jetzt.
Widerstand vorprogrammiert
Mit der Vorlage des Gesetzes im Parlament eröffne Aussenministerin Truss quasi eine multidimensionale Schachpartie, stellt Wülser fest: Innen- und aussenpolitisch gab es bereits im Vorfeld viele Reaktionen. Im Parlament kündigte die Opposition Widerstand an. Aber auch viele Konservative befürchten einen Reputationsschaden, wenn internationale Verträge einseitig abgeändert werden.
Die irische Regierung sprach am Montag vom «Tiefpunkt des Brexit». In Nordirland zeigte sich Sinn Fein enttäuscht. Am Ende muss London aber auch Washington überzeugen. Denn die Biden-Regierung macht ein Freihandelsabkommen mit den USA vom garantierten Frieden in Nordirland abhängig.
Spiel mit offenem Ausgang
Es ist also ein Spiel mit offenem Ausgang, das Johnson eingeht, wie Wülser bemerkt: Neben den unbestrittenen administrativen Problemen der nordirischen Importindustrie durch das Protokoll geht es Johnson vor allem um den symbolischen Kollateralschaden. Denn die pro-britischen Unionisten blockieren wegen der Zollgrenze weiterhin die Regierungsbildung in Nordirland. Einen Konflikt in Nordirland kann sich Johnson aber nicht leisten. Solange die Protokoll-Frage nicht gelöst ist, bleibt der Brexit für Johnson eine peinliche Baustelle.