Nordkorea arbeitet offenbar weiter an Atomwaffen. Mehrere Länder gehen davon aus, dass das autokratisch regierte Land «wahrscheinlich kleine nukleare Vorrichtungen entwickelt» hat. Das haben Diplomatenkreise gegenüber der deutschen Presseagentur bestätigt. Fredy Gsteiger befasst sich mit Sicherheitspolitik und erklärt, was von den Berichten zu halten ist.
SRF News: Wie schätzen Sie die Meldung über Nordkoreas Atomarsenal ein?
Fredy Gsteiger: Sie ist grundsätzlich plausibel und kommt auch nicht völlig überraschend. Denn es gibt schon seit einiger Zeit Hinweise, vor allem von Geheimdiensten, etwa von amerikanischen oder japanischen, wonach Nordkorea beträchtliche Fortschritte bei seinem Atomprogramm macht, bis hin zur Miniaturisierung der nuklearen Gefechtsköpfe. Dazu kommt: Die UNO-Expertengruppe hat in der Vergangenheit immer wieder sehr seriöse, sehr detaillierte, sehr interessante Berichte vorgelegt. Andererseits kennen wir diesen Bericht noch nicht in seiner Gänze. Er wurde den Mitgliedern des Sicherheitsrates übergeben, aber er ist noch nicht veröffentlicht worden.
Die UNO-Experten nennen ihre Quellen nicht, sondern beziehen sich auf diverse Geheimdienstinformationen.
Aber die UNO-Experten sprechen in Bezug auf die Miniaturisierung der Atomköpfe von einer Wahrscheinlichkeit, nicht von einer Sicherheit. Und sie nennen ihre Quellen nicht, sondern sie beziehen sich recht allgemein auf diverse Geheimdienstinformationen aus verschiedenen Ländern.
Nehmen wir an, Nordkorea wäre im Besitz von solchen nuklearen Sprengköpfen. Was würde das bedeuten?
Es wäre ein sehr grosser Schritt, vielleicht sogar der entscheidende Schritt. Denn in den Meldungen ist von kleinen Atombomben die Rede. Klein heisst in diesem Fall nicht weniger zerstörerisch, klein bedeutet im Grunde wirklich einsetzbar. Das Ziel Nordkoreas besteht ja darin, zum Beispiel die USA bedrohen zu können. Es kann aber nicht einfach mit Militärflugzeugen dorthin fliegen und grosse Bomben abwerfen. Es muss sie mit Raketen dorthin befördern. Und das verlangt, dass die Gefechtsköpfe relativ klein sind.
Vor wenigen Tagen hat der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un betont, wie wichtig diese Nuklearwaffen für Nordkorea sind. Wieso?
Wenn er von Wichtigkeit spricht, meint er nicht sein Land, sondern sich selbst und sein Regime. Die Atombombe ist aus Sicht Pjöngjangs die Überlebensgarantie des Regimes. Ohne Atomwaffen, so die Logik in der nordkoreanischen Hauptstadt, würde Nordkorea angegriffen und das Regime hinweggefegt. Mit Atomwaffen dagegen wagen es auch die USA nicht, militärisch gegen Nordkorea vorzugehen. Und vor den Augen haben Kim und seine Leute das Beispiel von Machthaber Muammar al-Gaddafi in Libyen.
Nordkorea kann nicht einfach mit Militärflugzeugen in die USA fliegen und grosse Bomben abwerfen.
Der hatte sein Atombombenprogramm aufgegeben und wurde später von westlichen Truppen gestürzt. Pjöngjang fürchtet, das könne auch passieren.
Nordkorea zum Abrüsten zu bringen, ist schon ein jahrelanges Projekt. Jetzt also diese neue Meldung. Gibt es schon Reaktionen darauf?
Es gibt wenige. Das mag damit zusammenhängen, dass der Bericht der UNO-Experten noch nicht offiziell und vollständig veröffentlicht ist. Wahrscheinlicher ist aber, dass für Insider die Informationen, die dort enthalten sind, nicht wirklich überraschend kommen. Man weiss, dass Nordkorea die zwei Jahre, seit denen es mit den USA verhandelt – es gab ja drei Gipfeltreffen zwischen Kim und Donald Trump – genutzt hat, um sein Atomarsenal weiterzuentwickeln, und nicht etwa für einen Marschhalt.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.