Im Süden Turkstream, im Norden Nord Stream 2: Nach wie vor werden Milliarden in den Bau von Pipelines investiert. Gleichzeitig verlangt das Pariser Klimaabkommen, dass der CO2-Ausstoss drastisch reduziert wird und die Staaten von fossilen Energien wegkommen . Expertin Claudia Kemfert sieht die Entwicklung äusserst kritisch.
SRF News: Klimaschutz und Pipelines: Wie soll das gehen?
Claudia Kemfert: Das passt tatsächlich nicht zusammen. Im Zuge der Energiewende wird künftig weniger fossile Energie benötigt. Dazu kommt, dass Gas vergleichsweise teuer ist. Solche Pipelines rechnen sich nur über vier bis sechs Jahrzehnte. In diesem langen Zeitraum wird der Erdgasbedarf tendenziell abnehmen. Zudem will Europa seine Gas-Bezüge diversifizieren. Es ist wenig sinnvoll, langfristig auf teure Pipeline-Projekte zu setzen.
Die Investoren würden aber kaum investieren, wenn sie nicht an eine Rendite glauben würden?
Häufig sind sehr kurzfristige Renditen im Blick. Wir beobachten in vielen anderen Bereichen, dass die Risiken der fossilen Energie bislang unzureichend eingepreist wurden. In Deutschland gab es die Fehlinvestitionen in Kohlekraftwerke. Auch da hiess es immer, man habe Investoren und es lohne sich. Im Zuge des Klimaschutzes ist aber lange bekannt, dass sich weder fossile Kraftwerke noch Pipelines dauerhaft lohnen. Die Investoren unterliegen einer Fehleinschätzung.
Wenn die Pariser Klimaziele umgesetzt werden sollten, wird der Anteil der erneuerbaren Energien sprunghaft ansteigen und der Bedarf nach Erdgas zurückgehen. Höchstwahrscheinlich hoffen die Investoren, dass die Gaspreise erstmal steigen oder dass die Staaten einspringen und den Unternehmen helfen.
Und wenn die Klimaziele nicht umgesetzt werden?
Immer mehr Länder – auch Europa mit dem «Green Deal» – setzen darauf, die Emissionen deutlich zu senken. Davon wird man sich kaum komplett abwenden.
Zudem werden die erneuerbaren Energien immer billiger. Der Punkt, an dem diese unschlagbar billig und konkurrenzfähig werden, steht kurz bevor. Erneuerbare Energien sind schon heute preiswerter als fossiles Erdgas.
Im Zuge des Klimaschutzes ist lange bekannt, dass sich weder fossile Kraftwerke noch Pipelines dauerhaft lohnen.
Im Gebäudesektor wird viel getan, um von fossilen Energien wegzukommen. Auch im Mobilitätssektor gibt es einen Schwenk hin zu mehr Elektromobilität – inklusive Schienenverkehr und nachhaltiger Verkehrswende.
Gas ist sauberer als Kohle und könnte in einer Übergangszeit zu klimaneutraler Energie für die Stromerzeugung eingesetzt werden. Das schnelle Ende des Gasverbrauchs steht also nicht unmittelbar bevor.
Davon spricht auch niemand. Die bestehende Infrastruktur reicht aber vollkommen aus, um den Bedarf zu decken. Europa ist sehr gut mit Pipelines und Erdgasinfrastruktur, inklusive Flüssiggasterminals, ausgestattet. Durch letztere wollen sich viele europäische Länder unabhängiger von russischem Gas machen.
All das spricht dafür, dass wir keine langfristigen Pipelines mehr benötigen – zumindest nicht in dem Umfang, in dem es jetzt geplant ist. Insofern wird fossiles Erdgas in den nächsten Jahrzehnten eine Rolle spielen – aber eine abnehmende.
Warum werden Pipelines trotzdem gebaut? Geht es nur um geopolitische Machtansprüche?
Bei Turkstream spielen diese eine übergeordnete Rolle. Es sollen geostrategische Allianzen gebildet werden, um sich im Machtpoker einzubringen. Gas wird immer mehr zur politischen Waffe. Davon sollte man sich unabhängig machen und verstärkt auf eine Energiewende setzen, um sich diesen Streitigkeiten zu entziehen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.