Nazret Menghistie zieht gerade eine Farinata aus dem Ofen, einen Fladen aus Kichererbsenmehl. Eine der vielen Spezialitäten Genuas. Es riecht verführerisch. Trotzdem verkauft Menghistie davon – seit die Brücke eingestürzt ist – deutlich weniger: «Es kommen weniger Touristen in die Stadt, vor allem weniger Franzosen», sagt die junge Frau in ihrem kleinen Imbisslokal mitten in der verwinkelten Altstadt.
Im Winter habe es in Genua generell weniger Touristen. Doch weil die Brücke fehle, seien es nun noch weniger, erklärt Menghistie. «Ohne die Brücke, die wichtigste Ost-West-Verbindung, ist es schwierig geworden, sich in Genua fortzubewegen. Alles, was westlich der Altstadt liegt, zum Beispiel eben Frankreich, ist seither schwieriger zu erreichen.»
Was Nazret Menghistie in ihrem kleinen Lokal beobachtet, erlebt auch Giorgio Bertolina, allerdings im Grossen. Das Aquarium, das er leitet, zieht jährlich über eine Million Besucherinnen und Besucher an. Es gibt Haie, Robben oder Rochen zu bestaunen.
Nach dem Brückeneinsturz blieb plötzlich die Hälfte des Publikums aus. Auch hier fehlten vor allem Besucher, die von Westen her anreisten. Heute, sagt Giorgio Bertolina, habe sich die Lage zum Glück verbessert: «Die Behörden haben den Verkehr wieder in Gang gebracht.» So sei eine Strasse auf dem weitläufigen Hafengelände, die bisher nicht zugänglich war, für den allgemeinen Verkehr geöffnet worden. Und Lokalzüge, Metro und Busse verkehrten heute deutlich häufiger, freut sich der Leiter des Aquariums.
Trotzdem wird erst die nächste Hochsaison, der nächste Sommer zeigen, ob tatsächlich alle Touristen zurückkommen. Und der Schaden, der bereits angerichtet ist, lastet schwer.
Wie andere Unternehmer denkt auch Giorgio Bertolina daran, die Schuldigen auf Schadenersatz zu verklagen. Nur: Wer ist der Schuldige? Der private Autobahn-Betreiber, also der von der Familie Benetton kontrollierte Konzern Autostrade per l'Italia oder der Staat, der seine Aufsichtspflicht vernachlässigt hat? Bis diese Frage geklärt ist, dürfte es Jahre dauern. Auf rasche Entschädigung hofft kein Unternehmer.
«Wir werden die Ärmel hochkrempeln»
Der Mercato Comunale ist ein Quartiermarkt in Sichtweite der eingestürzten Brücke. Hier gibt es das ligurische Fladenbrot, die Focaccia, aber auch Fisch, Fleisch, Obst. Doch viel Ware bleibe liegen, klagt Käseverkäufer Michael De Palo: «Die Strassen in unserem Quartier sind noch immer gesperrt.»
In Sichtweite des Marktes hängt drohend jener Teil der Brücke in der Luft, der am 14. August stehen blieb. Das ganze Gebiet unter und neben der Brücke ist Sperrzone. Die Leute, die dort wohnten, leben heute verteilt über die ganze Stadt in Provisorien. Ihren Käse kaufen sie woanders: «Ich habe viele Kunden verloren», sagt Michael De Palo. Er will eigentlich auch weg, aber er hat Geld aufgenommen und in sein Geschäft investiert.
Von August bis November gingen der Genueser Wirtschaft wegen des Brückeneinsturzes weit über 400 Millionen Euro verloren. Das schätzt die Handelskammer.
Nino Testini ist Vize-Direktor des Gemüse-Grossmarktes, wo sich die Grossverteiler der ganzen Region eindecken. Ein Millionengeschäft – eigentlich. Denn heute verkauft er 15 bis 20 Prozent weniger Gemüse und Früchte. Die Gründe: weniger Kunden und höhere Transportkosten. Jammern mag Nino Testini trotzdem nicht: «Wir Leute aus Ligurien sind stille Schaffer, wir werden die Ärmel hochkrempeln.»
Einen Wunsch aber hat Nino Testini schon: Genua brauche dringend eine neue Brücke. Dass die Politik bis Ende des nächsten Jahres eine versprochen hat, hat er gehört. Er lächelt und sagt: «Vediamo» – mal schauen.