- Die US-Regierung will im Februar zwar Sportlerinnen und Sportler zu den Olympischen und Paralympischen Winterspielen nach China schicken, aber keine diplomatischen Vertreter.
- Diese Ankündigung der Vereinigten Staaten sei ein Protest gegen den andauernden Völkermord in der Region Xinjiang und andere Menschenrechtsverletzungen Chinas, hat das Weisse Haus am Montag (Ortszeit) verlauten lassen.
- Peking reagiert verärgert und kündigt resolute Gegenmassnahmen an.
Mit dem Boykott wolle die US-Regierung eine «klare Botschaft» aussenden, sagte die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, weiter. Auf die Frage, warum sich die USA nicht für einen kompletten Boykott der Spiele entschieden hätten, hiess es: Man wolle die Sportlerinnen und Sportler, die intensiv für die Spiele trainiert hätten, nicht bestrafen.
So reagiert das IOC auf den Boykott der USA
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Das Internationale Olympische Komitee bezeichnet in einer ersten Reaktion die Anwesenheit von Regierungsbeamten als «eine rein politische Entscheidung, die das IOC in seiner politischen Neutralität uneingeschränkt respektiert».
Gleichzeitig mache die Ankündigung der Vereinigten Staaten auch deutlich, «dass die Olympischen Spiele und die Teilnahme der Sportler jenseits der Politik stehen und wir dies begrüssen», sagte ein IOC-Sprecher und verwies auf eine Resolution der Vereinten Nationen, die im Konsens aller 193 Mitgliedstaaten angenommen wurde.
Die Resolution beinhaltet die Einhaltung des Olympischen Waffenstillstands für die Olympischen und Paralympischen Spiele Peking 2022 und fordert alle Mitgliedstaaten auf, mit dem IOC und dem Internationalen Paralympischen Komitee bei ihren Bemühungen zusammenzuarbeiten, den Sport als Instrument zur Förderung von Frieden, Dialog und Versöhnung in Konfliktgebieten während und nach Olympischen Spielen sowie darüber hinaus zu nutzen.
Laut Psaki haben die Vereinigten Staaten internationale Partner über die Pläne informiert und überlasse es ihnen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Ob sich andere Staaten den USA anschliessen, ist offen: Die französische Regierung liess erklären, es werde eine europaweit koordinierte Entscheidung geben.
Aus Regierungskreisen in Rom hiess es, Italien werde sich nicht an einem diplomatischen Boykott beteiligen. Die Regierung in Australien hat nach eigenen Angaben noch keinen Beschluss gefasst. Neuseeland hat bereits entschieden, auf diplomatischer Ebene nicht an den Spielen präsent zu sein – dem Beschluss würden aber vor allem epidemiologische Überlegungen zugrunde liegen, insbesondere Reisebeschränkungen.
China fühlt sich provoziert
Noch bevor Joe Biden den Boykott offiziell verkündet, folgt aus China bereits eine harsche Reaktion: Peking droht mit «entschiedenen Gegenmassnahmen», ohne bislang genauere Details zu nennen. Diese Ankündigung sei «eine Verhöhnung des olympischen Geistes, eine politische Provokation und ein Angriff auf 1.4 Milliarden Chinesen», liess Chinas Aussenamtssprecher Zhao Lijian am Montag verlauten.
Diese Ankündigung ist eine Verhöhnung des olympischen Geistes, eine politische Provokation und ein Angriff auf 1.4 Milliarden Chinesen
Zwischen den USA und China gibt es wegen der Menschenrechtslage, aber auch wegen diverser anderer Streitthemen grosse politische Spannungen. Das Verhältnis beider Staaten ist auf den tiefsten Stand seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1979 gefallen.
Boykott-Forderungen werden immer wieder laut
Die Olympischen Winterspiele finden vom 4. bis 20. Februar 2022 in China statt. Dem autoritär regierten Land werden von vielen Seiten Menschenrechtsverletzungen, vor allem gegen Minderheiten wie den muslimischen Uiguren, vorgeworfen.
Menschenrechtsorganisation begrüsst Boykott
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Für ihren diplomatischen Boykott ernten die USA Beifall von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: «Wir denken, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist», sagte Sprecherin Mei Fong im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. «Schliesslich haben wir und viele andere Organisationen gesagt, dass es wirklich unmöglich ist, die Olympischen Spiele zu einer Zeit zu feiern, in der das Land so viele Menschenrechtsverletzungen begeht, insbesondere in Xinjiang.»
Human Rights Watch hoffe, «dass die Welt erkennt, dass es nicht länger an der Zeit ist wegzuschauen», sagte Fong weiter und betonte: «Es ist nicht in Ordnung, die Spiele zu feiern und Peking dabei zu helfen, sich zu profilieren, wenn wir wissen, dass über eine Million türkischer Muslime und Uiguren im Gefängnis sitzen.»
Menschenrechtsgruppen nennen als Beispiele für chinesische Repressalien die autonome Region Xinjiang, Tibet und Hongkong. Immer wieder werden daher mit Blick auf die dortigen Winterspiele Boykott-Forderungen laut.
Kurzeinschätzung von SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi
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Die Ankündigung der USA, keine offiziellen Vertreterinnen und Vertreter nach Peking zu schicken, sei für China ein «Affront», sagt SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi. Denn: Normalerweise würden Staaten oft hochrangige Persönlichkeiten an die Olympischen Spiele schicken. «An den Sommerspielen in Tokio war zum Beispiel die US-First-Lady Jill Biden anwesend. Oder bei den Sommerspielen 2008 in Peking war sogar der damalige US-Präsident George W. Bush anwesend.»
Die chinesische Regierung bemühe sich nun um Schadensbegrenzung und dürfte hoffen, dass sich jetzt nicht zu viele Staaten an einem solchen diplomatischen Boykott anschliessen. Denn dann hätte China ein grösseres Problem, sagt Aldrovandi.
«Die Kommunistische Partei kontrolliert die Medien, zensiert sehr viel.» Solange nur die Vereinigten Staaten die Spiele boykottieren, könne China versuchen, diese Erzählweise zu kontrollieren und die Situation so darzustellen, als wollten die USA dem Land schaden oder den Chinesen diese Spiele nicht gönnen. «Wenn sich jetzt eine ganze Reihe von Staaten anschliessen würden, dann wäre dies deutlich schwieriger.»
Für viele Staaten – darunter auch die Schweiz – sei es ein Balanceakt, zu entscheiden, wen man jetzt genau nach Peking schickt, ohne China zu verärgern.
SRF 4 News, 6.12.2021, 21:00 Uhr
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