Die USA haben für die die Olympischen Spiele in China einen diplomatischen Boykott angekündigt. Grund seien der «fortdauernde Genozid» an den Uigurinnen und Uiguren in der Region Xinjang und andere Menschenrechtsverletzungen. Welche Bedeutung solch ein Boykott hat, erklärt der Sportpolitik-Experte Jürgen Mittag.
SRF News: Ist so ein Boykott mehr als ein symbolischer Akt?
Jürgen Mittag: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Sportboykotte erlebt mit unterschiedlichen Auswirkungen. Die grossen Sportboykotte 1980 und 1984 bei den Olympischen Spielen werden im Nachhinein sehr kritisch bewertet. Auf der anderen Seite hat es auch einen Sportboykott gegen Südafrika gegeben, der im Nachhinein eher positiv gesehen wird, weil er Auswirkungen auf das südafrikanische Apartheidsregime ausgeübt hat.
Ein Sportboykott stellt mediale Aufmerksamkeit her, legt das Licht auf Fehlentwicklungen.
Es ist deswegen schwer, grundsätzlich zu sagen, ob ein Sportboykott Erfolg hat oder nicht. Er stellt auf jeden Fall mediale Aufmerksamkeit her, legt das Licht auf Fehlentwicklungen. Die chinesische Regierung sieht sich sicherlich desavouiert.
Macht es einen Unterschied, dass es «nur» ein diplomatischer Boykott ist, dass also die Sportlerinnen und Sportler an den Spielen teilnehmen?
Das ist eine Folge der Fehlentwicklungen der 80er- und 90er-Jahre, als Sportlerinnen- und Sportler-Boykotte nicht wirklich erfolgreich gewesen sind in der internationalen Politik. Wir erleben ein neues Instrumentarium, das es zwar schon immer gegeben hat, das aber in der gegenwärtigen Intensität bis jetzt nicht genutzt worden ist. Gerade bei einem sehr grossen und wirtschaftlich mächtigen Land wie China ist das wahrscheinlich eine der wenigen Formen, um überhaupt eine Kontrareaktion gegenüber China vornehmen zu können.
Die USA haben den Boykott angekündigt, Neuseeland schliesst sich aus anderen Gründen an. Forderungen von Menschenrechtsorganisationen auch in der Schweiz werden laut. Kann die Ankündigung der USA zu einem ersten Dominostein werden?
Es ist vielleicht der zweite Dominostein. Es hat schon im Sommer in diesem Jahr Initiativen für einen diplomatischen Boykott gegeben. Die sind allerdings nicht auf ganz so viel Resonanz gestossen. Wir werden in den kommenden Tagen eine sehr intensive Debatte darüber haben. Ich gehe davon aus, dass es zunächst Abstimmungsprozesse unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben wird, bevor dann vielleicht ein umfassenderes Votum abgegeben wird.
Kommt es darauf an, wie breit ein Boykott abgestützt ist?
Mit Sicherheit. Man stelle sich das vor, es kommt zu einer Eröffnungsfeier, die normalerweise ein Stelldichein der politischen Prominenz dieser Welt ist. Und wenn der chinesische Staatschef Xi Jinping die Spiele eröffnet und kaum ein hochrangiger Vertreter aus den westlichen Staaten vor Ort zugegen ist, ist das sicherlich eine Desavouierung Chinas. Sie würde in der Tat eine erhebliche Beeinträchtigung der ursprünglichen Ziele der Olympischen Winterspiele darstellen.
Inwiefern kann man Politik und Sport auf einer internationalen Bühne überhaupt trennen?
Sportgrossereignisse entfalten eine erhebliche Breitenwirkung und rufen ein starkes mediales Echo hervor. Sportgrossereignisse sind entsprechend per se politisch und werden von unterschiedlichsten Seiten für eigene Interessen – politisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell – in Anspruch genommen. Deswegen wird sich auch China in diesem Fall gegen eine solche Debatte über die Olympischen Winterspiele nicht wenden können.
Sportgrossereignisse sind per se immer politisch und werden von den unterschiedlichsten Seiten für eigene Interessen in Anspruch genommen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.