Zwangsadoptionen in der DDR sorgen in Deutschland aktuell für Schlagzeilen, weil eine Interessengemeinschaft mehr Unterstützung von der Politik fordert, um solche Fälle aufzuklären.
Nun hat die Interessengemeinschaft «Gestohlene Kinder» eine Petition beim Bundestag in Berlin eingereicht. Deren Sprecher Frank Schumann steht SRF Red und Antwort.
SRF News: Ihre Interessengemeinschaft hat 1500 Mitglieder. Darunter sind viele Betroffene. Können Sie uns ein Beispiel einer solchen Zwangsadoption nennen? Wie ist das damals abgelaufen?
Frank Schumann: Gerade der Vorsitzender unserer Interessengemeinschaft ist ein aufgeklärtes Beispiel von Zwangsadoption. Er hat damals versucht, mit seiner damaligen Ehefrau Republikflucht zu begehen, konnte sich also im DDR-Staat nicht zurechtfinden und hat versucht über die Ostsee nach Westdeutschland zu kommen. Dabei wurde er geschnappt. Seine Frau war zu dem Zeitpunkt schwanger. Beide wurden inhaftiert. Auf ihn ist sehr starker Druck ausgeübt worden, damit er unterschreibt, dass sein Kind zur Adoption freigegeben wird. Seine Ehefrau ist ebenfalls stark unter Druck gesetzt worden. Sie hat damals dann das Gefängnis verlassen dürfen, weil er bezüglich dieser Republikflucht sämtliche Schuld auf sich genommen hat. Sie hat aber niemals der Adoption zugestimmt – auch nicht unter entsprechendem physischen und psychischen Druck.
Der leibliche Vater hat 20 Jahre lang seinen Sohn gesucht. Nur dank einem TV-Bericht hat sich dieser bei ihm gemeldet.
Er hat dann vier Jahre lang im Gefängnis gesessen und nachdem er rausgekommen ist, hat er über 20 Jahre lang versucht, seinen Sohn zu finden. Durch einen Bericht eines Fernsehsenders ist es dann dazu gekommen, dass sich sein Sohn bei ihm gemeldet hat. Er ist das leuchtende Beispiel von Zwangsadoption. Wir haben noch ungefähr 40 weitere Beispiele in der Interessengemeinschaft.
Insgesamt gehen Sie ja von bis zu 400 Fällen aus, in denen Kinder zwangsadoptiert wurden, also den Eltern weggenommen wurden. Was heisst das auf die ganze DDR bezogen? Wie verbreitet waren solche Zwangsadoptionen?
Das ist natürlich eine schwierige Frage, wir stehen erst am Anfang und können diese Frage noch nicht abschliessend beantworten. Wir haben eine Vorstudie, die jetzt gerade herausgegeben wurde, die versucht hat, anhand von Einzelfällen die Systematik aufzudecken. Diese Studie wird gerade im Bundestag diskutiert und vermutlich dazu führen, dass es eine Hauptstudie geben wird. Erst dann können wir konkret sagen, was Zwangsadoptionen gewesen sind und wie der DDR-Staat methodisch vorgegangen ist. War das systematisch oder waren es Gelegenheiten? Dann wird man auch sagen können, von wie vielen Fällen man tatsächlich sprechen kann.
Es hat in der ehemaligen DDR etwa 75'000 Inkognito-Adoptionen gegeben.
Nur zur Bemerkung: Es hat in der ehemaligen DDR etwa 75'000 Inkognito-Adoptionen gegeben. Dabei waren mit Sicherheit sehr viele dabei, bei denen die Familien entweder als asozial abgestempelt wurden oder eben politisch nicht opportun waren.
Wo liegen heute die grössten Hürden, wenn es darum geht, ein Kind wieder zu finden, das einem in der DDR weggenommen worden war?
Sie müssen wissen, dass mit dem Einheitsvertrag die Adoptionen spätestens nach Ablauf von drei Jahren für rechtmässig erklärt wurden, wenn dem nicht widersprochen wurde. Und leibliche Adoptiveltern, die somit rechtmässig ihre Kinder zur Adoption freigegeben haben, haben kein Recht zur Einsichtnahme in die Unterlagen. Also für alle diejenigen, die in der BRD – also im Westen – ihr Kind zur Adoption freigegeben haben, ist das auch nachvollziehbar, weil das ein rechtmässiger Prozess gewesen ist.
Bei den Zwangsadoptionen und Kindesentzügen, die in der DDR stattgefunden haben, wussten die Eltern nichts davon. Sie werden aber unter das gleiche Recht gestellt, wie in der BRD. Demzufolge fällt es ihnen sehr schwer, an Informationen zu kommen, was mit ihren Kindern passiert ist.
Gibt es denn bald 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch Beispiele, wo Eltern ihre Kinder wiederfinden?
Ja, die gibt es durchaus und das macht uns auch sehr glücklich. Ich habe gerade vorgestern mit einer unserer Betroffenen gesprochen, die auch jahrelang gesucht hat und jetzt über die Adoptionsstellen die Information bekommen hat, wer ihre leibliche Mutter ist. Die haben sich dann auch getroffen. Sie haben mir dann berichtet, dass es ihnen gut geht und dass sie in eine gemeinsame Zukunft starten wollen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.