Die beiden ostdeutschen Bundesländer Sachsen und Thüringen haben zusammen nur rund sechs Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Dennoch gelten die Wahlen für ganz Deutschland als eine mögliche Zäsur. Es könnte erstmals eine rechtsextreme Partei eine Wahl in einem Bundesland gewinnen. SRF-Deutschland-Korrespondentin Simone Fatzer mit den wichtigsten Antworten.
Wie ist die Ausgangslage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen?
In beiden Ländern deuten die Umfragen auf grosse Wahlerfolge der AfD hin, womöglich sogar auf Wahlsiege – obwohl beide Landesverbände laut Verfassungsschutz «gesichert rechtsextrem» sind. Die etablierten Parteien sind sehr unbeliebt. Es geht bei den Wahlen also auch darum, wie viel Macht die rassistische, völkische und antidemokratische AfD erhält, und ob die anderen Parteien dem etwas entgegensetzen können.
Was zeigen die Umfragewerte?
Die AfD liegt in Umfragen bei rund 30 Prozent – in Thüringen an der Spitze, in Sachsen knapp hinter der CDU, die mit Michael Kretschmer den Regierungschef stellt. Auf hohe Zustimmung stösst auch das ganz junge Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das in Teilen rechts-, in Teilen linkspopulistisch ist. Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, schafft die Wiederwahl kaum. Er ist zwar beliebt, nicht aber seine Partei, Die Linke. Sollte die AfD über 33 Prozent erhalten, könnte sie auch in der Opposition wichtige politische Geschäfte blockieren.
Welche Themen dominieren, und welche Parteien profitieren davon?
Zwei Themen dominieren: der Ukrainekrieg und die Migration. Beides sind Themen, auf welche die Landespolitik kaum Einfluss hat. In Ostdeutschland ist die Sehnsucht nach Frieden und gleichzeitig das Verständnis für den russischen Aggressor Putin besonders gross. Mit der Forderung nach Friedensgesprächen kann man also leicht punkten. In der Migrationsfrage profitieren besonders die AfD und das BSW mit ihren teilweise radikalen und deckungsgleichen Forderungen gegen Zuwanderung.
Weshalb liegen die AfD und das linke Bündnis vorne?
Viele in Ostdeutschland haben den Eindruck, die bisherige Politik habe versagt – die Regierungsparteien hätten keine Verbesserung gebracht. Die Frustration ist stark verbreitet. Also sollen neue Parteien an die Macht. Parteibindungen nehmen überall ab, aufgrund der Geschichte sind sie in Ostdeutschland aber besonders schwach ausgeprägt. Bei Unzufriedenheit wählen viele Menschen rasch eine andere Partei, die ihnen bei wichtigen Themen Veränderungen verspricht. AfD und BSW bedienen primär die Emotionen und machen Stimmung gegen die andern. Das verfängt.
Wie steht es um die Parteien der Ampelkoalition?
Allen drei Regierungsparteien, SPD, Grüne, FDP, droht laut Umfragen ein fulminanter Absturz. SPD und Grüne könnten in Thüringen und Sachsen aus der Regierung und womöglich sogar aus dem Parlament fallen. Die FDP kommt wohl kaum mehr rein. Bei Landtagswahlen werden zwar immer auch Regierungen abgestraft, aber das Ausmass, das hier erwartet wird, ist aussergewöhnlich gross.
Wie könnte die Regierungsbildung aussehen?
Es könnte sein, dass die AfD und das BSW zusammen 50 Prozent der Stimmen erhalten. Da alle Parteien eine Regierungskoalition mit der AfD ausgeschlossen haben, wird die Regierungsbildung kompliziert. Womöglich gibt es keine Regierung ohne Zusammenarbeit zwischen CDU und BSW. Diese beiden Parteien haben aber praktisch nirgends Gemeinsamkeiten. Es kann sogar sein, dass nur eine Minderheitsregierung zustande kommt.