Ende Januar wurde bekannt, dass die USA ihre Hilfsgelder ans UNO-Hilfswerk UNRWA zurückhalten, das in den Palästinensergebieten tätig ist. Mit dem Wegfall des wichtigsten Geldgebers braucht das Hilfswerk jetzt selbst Hilfe.
Chef der Organisation ist der Genfer Pierre Krähenbühl. Er reist derzeit um die Welt und versucht, das Finanzierungsloch zu stopfen. Im Interview mit Radio SRF spricht er über die Auswirkungen des Zahlungsstopps und sagt, wieso Europa seiner Meinung nach ein Interesse daran hat, die Palästinenser zu unterstützen.
SRF News: Merken Sie bereits, dass Ressourcen fehlen?
Pierre Krähenbühl: Im Moment sind alle unsere Dienstleistungen gesichert. Es besteht aber ein grosses Risiko, dass Nahrungsmittelverteilung, finanzielle Unterstützung, medizinische Versorgung und das Bildungssystem für eine halbe Million Schülerinnen und Schüler ins wanken kommen werden. Uns wird im Laufe des Jahres ganz einfach das Geld dafür fehlen. Wir arbeiten sehr engagiert daran, diese Krise zu überwinden.
Bis wann reicht das Geld konkret, um die laufenden Projekte weiterzuführen?
Es ist etwas schwierig, ein genaues Datum zu geben. Es kommt darauf an, wie viele Geldgeber ihre Beiträge früher überweisen und wie erfolgreich wir in der Strategie sein werden, diese Situation zu überwinden. Wir haben einen Appell für Gelder und Unterstützung weltweit lanciert. Zum jetzigen Zeitpunkt handelt es sich aber um einige Wochen, bei einigen Projekten zwei Monate. Dann werden wir schon ganz konkrete Schwierigkeiten sehen.
Die USA und Israel kritisieren die Arbeit der UNRWA. Washington macht weitere Hilfsgelder von Reformen abhängig. Werden Sie diesem Druck nachgeben, um das Geld fliessen zu lassen?
Damit hat es gar nichts zu tun. Ich war im November des letzten Jahres in Washington. Dort erhielt ich sehr viel Anerkennung für unsere Aktivitäten und die Art, wie wir unsere Neutralität bewahren. Natürlich sind wir der Kritik ausgesetzt und werden sie sehr ernst nehmen.
Die Entscheidung der USA war nicht reformbestimmt, sondern bezieht sich rein auf die politische Diskussion in Bezug auf die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels.
Die Entscheidung der USA war aber nicht reformbestimmt, sondern bezieht sich rein auf die politische Diskussion in Bezug auf die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen lehnte diese Anerkennung ab, die Amerikaner reagierten darauf und zogen humanitäre Gelder in die Diskussion ein. Ich gebe zu, dass uns das überrascht hat. Normalerweise werden humanitäre Gelder von der politischen Dimension geschützt.
Es gibt Vorwürfe, dass Schüler in Schulen, die vom UNRWA betrieben werden, mit antisemitischem Gedankengut indoktriniert werden. Sie haben im vergangenen Jahr zwei Lehrer entlassen, die bei der Hamas in hohe Positionen gewählt wurden. Offensichtlich besteht durchaus Handlungsbedarf.
Es waren nicht zwei Lehrer, sondern zwei Angestellte und wir haben sofort gehandelt. Für uns ist ganz klar: Wenn es zu einem Fall wie im letzten Jahr kommt, werden diese Personen nach einer Analyse entlassen. Wir akzeptieren das nicht. Wir sind UNO-Angestellte und es besteht ein Bedürfnis der Neutralität. Das wollen und werden wir rigoros schützen. Ich werde nicht erlauben, dass zwei Personen 30'000 Angestellte in Schwierigkeiten bringen.
Sie müssen die Finanzierung jetzt schnellstmöglich wieder sichern. Wie wollen Sie das tun?
Wir werden nicht lange klagen, sondern aktiv handeln. Es geht um Menschenleben. Ich bin in der Welt unterwegs und wir werden eine Strategie mit Staaten suchen. Es ist nicht einfach, in die Schweiz, nach Japan oder in die EU zu gehen, um noch mehr Geld zu beantragen.
Es ist nicht einfach, in die Schweiz, nach Japan oder in die EU zu gehen, um noch mehr Geld zu beantragen.
In einem solchen Krisenmoment ist das aber sehr wichtig. Wir werden auch bei den arabischen Staaten und in Asien an die Türe klopfen und dort Diskussionen führen. Wir sind es gewohnt, mit geringen finanziellen Mitteln zu handeln. Diese Erfahrung haben viele humanitäre Organisationen. Im Moment mache ich mir aber Sorgen, weil es um so viele Menschenleben geht.
Haben Sie nicht Angst, dass das Gegenteil passiert und andere Länder der UNRWA das Geld entziehen?
Man muss sich auf alle Möglichkeiten vorbereiten. Ich habe aber das Gegenteil erlebt: Ich war in Japan, in Bern, in Brüssel oder bei den arabischen Staaten. Dort gibt es viel Solidarität. Mir wurde Anerkennung zugeteilt und es gab auch eine Bestätigung, dass sie uns unterstützen wollen. Natürlich will kein einzelnes Land den ersten Schritt machen. Deswegen müssen wir an dieser Dynamik weiterarbeiten.
Kein Europäer darf sich vorstellen, dass palästinensische Flüchtlinge sich nicht auch in Bewegung setzen werden, wenn es in der Region keine Unterstützung, keine Zukunftsperspektive und keinen Horizont mehr gibt.
Aus europäischer Perspektive würde ich das Folgende sagen: 2015 haben wir gesehen, was passiert, wenn es keine Zukunftsperspektiven für Flüchtlinge im mittleren Osten gibt, beispielsweise bei den syrischen Flüchtlingen. Kein Europäer darf sich vorstellen, dass palästinensische Flüchtlinge sich nicht auch in Bewegung setzen werden, wenn es in der Region keine Unterstützung, keine Zukunftsperspektive und keinen Horizont mehr gibt. Wenn man an all die Emotionen im Jahr 2015 zurückdenkt, lohnt es sich durchaus, mit der UNRWA zusammenzuarbeiten.