- Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik der brasilianischen Regierung hat schwere Vorwürfe gegen Präsident Jair Bolsonaro erhoben und empfiehlt eine Anklage.
- Die Regierung habe fahrlässig gehandelt und den Tod von unzähligen Brasilianern in Kauf genommen, hiess es bei der Präsentation des Abschlussberichts.
- Präsident Bolsonaro werden neun teilweise schwere Verbrechen während der Corona-Pandemie zu Last gelegt.
- Unklar bleibt vorerst, welche politischen oder juristischen Folgen der Bericht haben wird.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss hatte auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie in Brasilien im April seine Arbeit aufgenommen. Der Auftrag lautete, die Handlungen und Unterlassungen der Regierung von Präsident Jair Bolsonaro in der Pandemie zu beleuchten. Dabei sollte auch die mögliche Veruntreuung von Bundesmitteln im Kampf gegen das Coronavirus geprüft werden.
Vorwurf der Fahrlässigkeit
Die Regierung habe fahrlässig gehandelt und «die Bevölkerung absichtlich der konkreten Gefahr einer Masseninfektion ausgesetzt», um eine Herdenimmunität zu erreichen, sagte Senator Renan Calheiros bei der Verlesung des Abschlussberichts in Brasília.
Die Regierung habe sich dabei nachweislich von einem parallelen Kabinett beraten lassen, und dabei den Tod von tausenden Bürgerinnen und Bürgern in Kauf genommen.
Bolsonaro werden neun teilweise schwere Verbrechen während der Corona-Pandemie zu Last gelegt. Die Vorwürfe reichen von Scharlatanerie über die Anstiftung zu Straftaten bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Insgesamt sollen laut dem Bericht weitere 65 Personen, unter ihnen drei Söhne des Präsidenten, Geschäftsleute sowie zwei Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden.
Politische Auswirkungen unklar
Der Untersuchungsausschuss besteht aus elf Mitgliedern, von denen sieben zur Opposition gehören oder als unabhängig gelten. Kommende Woche soll der Ausschuss über den Schlussbericht abstimmen. Erst mit einem Mehrheitsbeschluss kann der Bericht etwa der Generalstaatsanwaltschaft übermittelt werden.
Unklar bleibt, ob die Empfehlungen auch zu Anklagen führen werden, oder ob der Untersuchungsausschuss nach fast sechs Monaten Arbeit im Sande verläuft.
Auch ein Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren ist fraglich. Die Eröffnung eines solchen Verfahrens hängt vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer ab – dieser gilt als Verbündeter der Regierung Bolsonaro.
Krise als unglaubliche Telenovela
Der Untersuchungsausschuss hatte im April seine Arbeit aufgenommen, als die Corona-Infektionsfälle Höchststände erreichten. Die Brasilianer verfolgten den Ausschuss bisweilen wie eine Telenovela. So wurden die Ausmasse der Krise bekannt: Etwa, dass die Regierung mehr als 50 E-Mails des Pharmaunternehmens Pfizer, das Corona-Impfstoffe nach Brasilien liefern wollte, unbeantwortet liess.
Die absichtliche Verzögerung beim Beschaffen von Impfstoffen ist für die Verfasser des Abschlussberichts das schwerwiegendste Versäumnis der Regierung und habe entscheidend zu der hohen Rate an Neuerkrankungen und der Sterblichkeit im Land beigetragen.
Brasilien verzeichnete fast 22 Millionen Infektionsfälle und mehr als 600’000 Corona-Todesopfer. Das Gesundheitssystem brach im März und April vielerorts zusammen.
Präsident Bolsonaro verharmlost das Coronavirus trotzdem seit Beginn der Pandemie und lehnt Schutzmassnahmen sowie Einschränkungen ab. Auch den Sinn von Impfungen zieht er in Zweifel.