Herr Schultz, wer ist Jorge Mario Bergoglio?
Hansjörg Schultz: Das ist etwas, was wir alle zusammen wahrscheinlich erst so richtig herausfinden müssen in den nächsten Wochen und Monaten. Was wir von ihm wissen, ist, dass er ein Altgedienter in der katholischen Kirche ist. Er ist schon sehr lange mit dabei. Er wurde bereits 2001 von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt. Er ist sicher einer der führenden Vertreter Südamerikas in dieser Weltkirche gewesen. Er ist ein Vertreter des Jesuitenordens; hier bringt er also etwas anderes. Und: Er bringt so einiges Neues in dieses Amt mit hinein – nicht zuletzt diesen Namen des Heiligen Franz. Er hat in Deutschland promoviert, war eine Weile in Spanien und natürlich vor allem auch immer wieder in Argentinien. Hier wurde er sehr früh als Weihbischof von Buenos Aires ernannt. Er ist einer mit dem ich nicht in vorderster Linie gerechnet hätte. Das hängt aber mit dem Alter zusammen: Er ist 76jährig. und sollte er dem Vorbild von Benedikt XVI. folgen, so könnte es sein, dass er in 8 oder 9 Jahren auch wieder sein Amt aufgibt.
Mit 76 Jahren ist Jorge Mario Bergoglio kein junger Papst…
Die «papabilen» Kandidaten, die noch alle da waren, waren zwischen 60 und 70 Jahren alt. Das wäre für einen Papst relativ jung gewesen. Wir wissen aber: Er ist scheinbar von sehr guter Gesundheit. Jorge Mario Bergoglio hat im letzten Konklave vor acht Jahren sehr viele Stimmen gekriegt, scheinbar bis zu 40 Stimmen. Wenn man es auf die Kirche bezieht, gehörte er damals zur fortschrittlicheren, liberaleren Gruppierung.
Was kann man aus dem Namen Franziskus schliessen?
Das ist die grösste Überraschung, dass er diese Dimension des Heiligen Franziskus einbringt. Dieser Name, wenn er denn wirklich Programm ist, verpflichtet ihn zu einer ganzen Menge. Der Heilige Franz war jemand, der sich auf das Wesentliche im Menschsein konzentriert hat. Er war gegen jeden Prunk. Er hat sich sehr stark für die Armen und Tiere eingesetzt. Das, was wir heute in der Christenheit mit dem Obergriff von Bewahrung der Schöpfung bezeichnen, hat er eigentlich schon ganz früh verwirklicht – und das ist auch ein ökumenisches Programm. Nicht umsonst hat der neue Papst Franziskus I. ein ökumenisches Gebet gesprochen. Auch er ist für eine sehr bescheidene Lebensführung bekannt. Es ist vielleicht auch ein bisschen die Chance, dass diese Kirche auch wieder etwas bescheidener wird.
Erstmals kommt ein Papst aus Lateinamerika, ist das eine Überraschung?
Ja. Es kann auch gut sein, dass sich zum Beispiel Italiener und Nordamerikaner gegenseitig blockiert haben und man als Überraschungskandidat einen Lateinamerikaner herausgezogen hat. Diese Ernennung ist aber wichtig für die katholische Kirche weil er den Blick auf den südamerikanischen Kontinent lenkt. Ein Kontinent der wirtschaftlich ausgedrückt, der grosse Wachstumsmarkt der katholischen Kirche ist. Die katholische Kirche wird auf diesem Kontinent gestärkt, denn sie hat schwer zu kämpfen in einigen Ländern Südamerikas schwer gegen Pfingstkirchen und Evangelikalen zu kämpfen. Es ist sicher eine interessante Aufgabe für ihn, aber es ist auch eine gewaltige Aufgabe: Sowohl in Südamerika, als auch mit dieser sehr schwierigen Weltkirche und auch mit diesem Vatikan. Ich denke für einen 76jährigen ist es eine Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist.
Es brauche einen Papst, der die schwierige Situation der katholischen Kirche lösen kann, einer der verbindet, der wieder Harmonie herstellt, hiess es im Vorfeld immer wieder. Ist er dafür der Richtige?
Dafür scheint er wohl gute Voraussetzungen zu haben, weil alle, die ihn kennen, ihn für sehr sympathisch halten. Er sei jemand, der sehr gut zuhören kann. Man hat gesehen, wie er sich vor dem Volk verbeugt und zum Volk gesprochen hat und damit Kirche und Volk zusammenbringen will. Ich könnte mir vorstellen, dass er von seinem ausgleichenden Typus her Einiges erreicht.
Ist Papst Franziskus ein Papst, den Benedikt XVI. gefördert hätte?
Das ist schwer zu sagen. Von der theologischen Vorbildung und der Bescheidenheit her, kann es gut sein, dass man sich getroffen hat. Die beiden haben eigentlich eine gute Beziehung zueinander gehabt. Ratzinger ist sehr eurozentrisch, auch noch als Papst Benedikt XVI.. Ich kann mir vorstellen, dass sich dieses Image der Weltkirche nun stark ändern könnte.
Brüskiert die Wahl von Jorge Mario Bergoglio die Europäer?
Die Europäer waren sich ein bisschen zu sicher. Das Gewicht hat sich doch sehr in den letzten zwei drei Jahrzehnten in Richtung südliches Amerika verschoben, wo so viele Katholiken leben. Es verschiebt sich auch in Richtung Afrika, während auf dem europäischen Kontinent immer mehr Menschen die katholische Kirche verlassen. Es ist durchaus ein Ausdruck der Realität dieser Weltkirche.
Worauf sind Sie am meisten gespannt?
Wie er seinen sehr anspruchsvollen Namen umsetzen wird. Ob er sich wirklich verstärkt gegen die Armut einsetzt, ob er verstärkt etwas tut für mehr strukturelle Gerechtigkeit – gerade auch auf der südlichen Halbkugel. Ob er sich verstärkt für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt und auch, ob er diese etwas bescheidenere Lebensführung, die ihm zu eigen ist, auch im prunkvollen Vatikan einsetzen kann.