Die Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio zum Papst war für viele überraschend. Und der Name, den er aussuchte, liess viele aufhorchen.
Die Namenswahl des neuen Papstes deuten Vatikankenner als ein Zeichen der Bescheidenheit und des Neubeginns. Auch die Teilnehmer der Diskussionssendung «Arena» reagierten ähnlich.
Der Spiegel vor dem Gesicht
«Ich war überrascht. Damit hatte ich nicht gerechnet», sagt Martin Grichting. Grichting ist Generalvikar des Bistums Chur.
Die Schweizer Kirche sei sehr reich. Sie verbrauche jährlich etwa eine Milliarde Franken, rechnet der Generalvikar vor. Davon gelange nur sehr wenig in die Südhalbkugel. «Papst Franziskus stammt aus einer sehr armen Kirche. Jetzt hält er uns den Spiegel vor.»
«Es ist natürlich sehr schwierig, das Ideal einer armen Kirche zu propagieren, wenn man im reichen Bistum Chur oder im Grossmünster in Zürich sitzt», hält Christoph Sigrist entgegen. Er ist reformierter Pfarrer am Zürcher Grossmünster. Die politische Theologie, die Befreiungstheologie, die auch Eingang in die reformierte Kirche gefunden habe, habe den Impuls zur Bescheidenheit schon lange geliefert. Die reformierte Kirche habe darauf reagiert – und allen Prunk entfernt. Nun stehe der Mensch wieder im Zentrum.
«Die Kirche ist ein Supertanker»
Sexuelle Missbräuche, Intrigen und leere Kirchenbänke. Der Vatikan hat ein Problem. Angesprochen auf die Frage, ob die Kirche noch zeitgemäss sei, waren sich die Teilnehmer uneins.
Der katholische Generalvikar des Bistums Chur antwortet ausweichend: «Die Kirche ist eine Art Supertanker. Weltweit gibt es etwa 1,2 Milliarden Gläubige. Sie alle gehören zu einer Organisation. So gesehen ist die Kirche sehr wichtig. Aber vor allem ist die Kirche natürlich von spiritueller Bedeutung.»
Nicht alle Diskussionsteilnehmer teilen das Bild des Supertankers. «Die Kirche ist globalisiert. Und wir hätten Chancen, das auszunutzen, viel mehr als wir es tun. Trotzdem müssen wir schauen, was hier im Kleinen, in der Schweiz, passiert», mahnt Ingrid Grave. Sie ist Ordensschwester der Dominikanerinnen.
Für den Pfarrer des Grossmünsters redet Grichting um den heissen Brei herum: «Das Glaubwürdigkeitsproblem der Kirche hat mit Scheinheiligkeit zu tun.» Es sei heute nicht mehr Auftrag der Geistlichen, die Gläubigen zu befragen. «Stattdessen müssen wir still zuhören und den Puls der Menschen fühlen.» Der Dialog der Religionen müsse wieder aufgenommen werden.
Nicht ablenken
Noch deutlicher auf den Punkt bringt es der emeritierte Freiburger Professor Leo Karrer: «Wir sind eine Gesellschaft, welche die Gleichberechtigung und den Ablauf eines fairen Rechtsverfahrens kennt.» Gleichzeitig gebe es mit der Kirche eine Institution, die nur «von oben herab» funktioniere.
Martin Grichting ist überzeugt, dass der neue Papst dies erkannt hat. «Deshalb will er als gutes Beispiel vorangehen. Und dies will er mit dem Propagieren von Bescheidenheit anpacken.»
Ordensschwester Grave fällt dem Generalvikar ins Wort: «Sie sprechen ständig vom Papst und lenken ab. Wir müssen bei uns selber ansetzen. Es bringt nichts, wenn Papst Franziskus als gutes Beispiel vorangeht, wenn wir nicht auch selber die Initiative ergreifen.»
Auch die Rolle der Frau wurde in der «Arena» thematisiert. Für die Ordensschwester ist es gewissermassen ein Fernziel: «Ich erwarte, dass Frauen in allen kirchlichen Gremien, wo Entscheide fallen – für die Kirche und für die Frauen – mitreden dürfen.»
Doch davon ist man noch meilenweit entfernt. «Frauen haben in der Kirche keine Chancen auf die Besetzung von Ämtern. Die Kirche funktioniert nur patriarchal», sagt Karrer. Nur linientreue Personen hätten Chancen in hohe Ämter zu kommen. «Da ist es klar: Diese Institution hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.»
Damit macht Grave klar: Sie fordert die Priesterweihe für das weibliche Geschlecht. Grichting drückt sich lange um die Antwort: «Dies wird nie passieren.» Der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden Diskussionsteilnehmern zeigt: Die Herausforderungen sind gross für Papst Franziskus. Klar ist: Alle wird er nicht anpacken können.