Millionen von Daten geben Aufschluss über die Steuertricks von Politikern, Superreichen und Unternehmen. Die meisten davon sind legal, aber moralisch verwerflich, wie der Wirtschaftsethiker Florian Wettstein erklärt.
SRF: Wie kann ein Handeln zwar rechtlich korrekt sein, aber unmoralisch?
Florian Wettstein: Grundsätzlich orientiert sich die Moral nicht an dem, was rechtlich festgeschrieben ist. Das Recht folgt im Normalfall der Moral. Deshalb kann auch etwas, das zwar legal ist, moralisch verwerflich sein. Entweder, weil das Recht nicht mehr adäquat ist oder weil es einen Tatbestand oder Aspekt tangiert, der vom Recht noch gar nicht erfasst worden ist.
Es wird ja unter dem Deckel gehalten, weil sich die Personen ganz genau bewusst sind, dass die breite Gesellschaft diese Praktiken nicht goutiert.
Inwiefern sind die Vorgänge, die in den Paradise Papers aufgedeckt wurden, aus Ihrer Sicht ethisch verwerflich?
Man könnte die erwähnten Firmen und Personen fragen, warum das Ganze alles so versteckt abläuft. Es wird ja unter dem Deckel gehalten, weil sich die Personen ganz genau bewusst sind, dass die breite Gesellschaft diese Praktiken nicht goutiert. Die Erwartungen an diese Personen und Firmen, die sind klar so, dass man solche Praktiken als verwerflich anschaut, auch wenn sie legal sind.
Welche rechtlichen Lücken sehen Sie nach der Veröffentlichung der Paradise Papers?
Man kann sich im Prinzip auf den Standpunkt stellen, dass es rechtlich legal ist, weil das Recht in diesem Bereich sehr lückenhaft ist und den globalen Gegebenheiten und Entwicklungen hinterherhinkt. Das sind Lücken im Bereich der Transparenz – bei den Geschäften und den Finanzierungspraktiken – und Lücken im Bereich des globalen Steuerrechts. Das bietet Schlupflöcher für Firmen und Personen, die diese ausnutzen können.
Die Paradise Papers sind nicht das erste Daten-Leck, das Offshore-Geschäfte transparent macht. Vor eineinhalb Jahren sorgten die Panama Papers für ähnliche Schlagzeilen. Warum wurden diese Gesetzeslücken nicht geschlossen?
Lücken, die sich im globalen Bereich auftun – sei es im Steuerbereich oder im Bereich der Menschenrechte –, sind sehr, sehr langwierig zu stopfen. Weil es Prozesse sind, die die ganze Staatengemeinschaft betreffen, bei denen globale Interessen aufeinanderprallen und auch sehr polare Positionen eingenommen werden. Allerdings gibt es heute auch sehr starke Bestrebungen, diese Löcher zu stopfen.
Verschiedene Personen und Firmen werden nun in den Medien an den Pranger gestellt. Wie viel an den Vorwürfen dran ist, ist nicht immer klar. Ist das nicht gefährlich?
Ich glaube schon, dass dort die grosse Gefahr liegt. Weil es sehr grosse Lecks sind, die in sehr kurzer Zeit nur sehr fragmentarisch aufgearbeitet werden können. Und so besteht die Gefahr, dass man eine ganze Branche oder gewisse Personengruppen und Kreise unter Generalverdacht stellt, und dort auch Firmen und Menschen hineingezogen werden, die sich eigentlich nichts zuschulden haben kommen lassen.
Genau diese unschuldig verdächtigten Personen und Unternehmen müssten ein verstärktes Interesse haben, dass man diese Löcher stopft.
Genau diese Personen und Unternehmen müssten aber dann ein verstärktes Interesse haben, dass man diese Löcher stopft. Damit diese Verfehlungen nicht mehr vorkommen und sie nicht unschuldig dort hineingezogen werden.
Man könnte das Teilen solcher vertraulichen Daten auch als verwerflich bezeichnen. Es ist nicht immer klar, ob sie gestohlen wurden. Sind solche Daten-Lecks trotzdem ein legitimes Mittel, um Offshore-Steuerpraktiken aufzudecken?
Sie sind vor allem das einzige Mittel dazu. Solche Lecks sind aber vor allem dort problematisch, wo sie Personen an Leib und Leben in Gefahr bringen. In diesen Fällen kommt es auf die Journalisten an, die diese Daten auswerten und aufarbeiten, dass sie die nötige Sorgfalt walten lassen.
Das Gespräch führte Marc Allemann.