Am Samstag haben die Iren ein neues Parlament gewählt. Die Ergebnisse stehen noch aus – auch wegen des komplizierten Wahlsystems. Doch gemäss Nachwahlbefragungen sieht es so aus, als ob alle drei grossen Parteien Irlands mehr oder weniger auf einen gleichgrossen Stimmenanteil kommen. Premierminister Leo Varadkar steht unter gewaltigem Druck.
SRF-Korrespondent Martin Alioth über die Pattsituation in Irland und die Undankbarkeit der irischen Wähler gegenüber Varadkar.
SRF News: Alle drei grossen Parteien sind gleichauf – was bedeutet das für die Regierungsbildung?
Martin Alioth: Die Regierungsbildung könnte schwierig werden. Nicht zuletzt, weil es zusätzliche erschwerende Bedingungen gibt. Die beiden bisher dominanten Parteien Fine Gael und Fianna Fail, die gemeinsam nur noch auf 45 Prozent aller Wählerstimmen kommen und die sich bisher bei der Regierungsbildung in den letzten hundert Jahren abgewechselt haben, haben beide ausgeschlossen, mit Sinn Fein zu koalieren.
Sinn Fein hat es verstanden, sich als klare Alternative und als Neubeginn darzustellen.
Gleichzeitig wollen sie keine gemeinsame grosse Koalition. Das reduziert die möglichen Kombinationen und Permutationen dramatisch.
Was bleiben für Alternativen?
Einerseits der Wortbruch, also dass es zu einer grossen Koalition oder zu einem Bündnis mit Sinn Fein käme. Möglich wären ausserdem Neuwahlen. Jenseits dieser Szenarien sehe ich keine Alternativen.
Die links-nationalistische Sinn Fein hat überraschend gut abgeschnitten. Wie lässt sich das erklären?
Sinn Fein hat es verstanden, sich als klare Alternative und als Neubeginn darzustellen. Als die Partei, die in den Wohnungsbau investieren oder auch das Gesundheitssystem reformieren wird, obwohl sie noch nie in der irischen Regierung gewesen ist.
Das hat mit der Undankbarkeit der Wähler bei den Erfolgen der Regierung Varadkar in der Brexit-Politik aber auch ihre Beteiligung bei der Neubildung der nordirischen Regierung zu tun.
Das Überraschende ist jedoch, dass die bisher grösste Oppositionspartei, die Fianna Fail, dies nicht geschafft hat. Sie hat 1 bis 2 Stimmprozente verloren, weil sie in den letzten drei Jahren Steigbügelhalter der Minderheitsregierung war. Sie wurde als Komplizin für das Malaise im Wohnungsbau und im Gesundheitssystem verantwortlich empfunden.
Der Brexit ist auch für Irland ein wichtiges Thema. Warum konnte Premierminister Varadkar und dessen Fine Gael damit nicht punkten?
Das hat mit der Undankbarkeit der Wähler bei den Erfolgen der Regierung Varadkar in der Brexit-Politik aber auch ihre Beteiligung bei der Neubildung der nordirischen Regierung zu tun. Das wurde vom Wähler zwar goutiert, aber nicht belohnt. Ebenso wenig wurde die grundsätzlich erfolgreiche Wirtschaftspolitik mit guten Werten beim Wachstum und der Arbeitslosigkeit von den Wählern erkannt.
Das Ganze wurde als gegeben dargestellt. Die beiden innenpolitischen Schwachpunkte im Wohnungsbau und im Gesundheitssystem wurden Varakar schliesslich zum Verhängnis. Es mag sein, dass er noch immer die grösste Fraktion führt und dass er zuerst versuchen darf, eine Regierung zu bilden. Die Frage, ob er Regierungschef bleibt, ist jedoch ungewiss.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.