«Am Nikolaus ist GroKo-Aus». Sprich: Nach dem heutigen Parteitag ist die Koalitionsregierung zwischen SPD und CDU in Deutschland Geschichte. Im Vorfeld des Parteitags der deutschen Sozialdemokratie weckte der linke Flügel grosse Erwartungen bei denjenigen, die die Regierungskoalition mit der CDU/CSU für gescheitert halten.
Angefeuert von den designierten Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die im Wahlkampf Hoffnungen auf den «Groxit» schürten.
Kämpferisch kündigte Esken an, ohne substanzielle Nachverhandlungen beim Koalitionsvertrag würde sie am Parteitag den Ausstieg aus der grossen Koalition empfehlen. Die Union um Bundeskanzlerin Angela Merkel und Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer will davon aber nichts wissen.
Die Revolutionäre lassen ihre Waffen und Munition im Schrank.
Je näher der Parteitag in Berlin kam, desto stiller wurde der linke Flügel. Und auch von der designierten SPD-Doppelspitze kamen mässigende Worte. Die Revolution wird heute ausbleiben, prognostiziert denn auch Parteienforscher Gero Neugebauer: «Die Revolutionäre lassen ihre Waffen und Munition im Schrank.»
Der Grund für die Rolle rückwärts: Weder in der Bevölkerung noch in der Partei selbst gebe es ausreichende Unterstützung für einen Bruch mit der Koalition. Nach Gesprächen mit der Spitze der Bundestagsfraktion und inhaltlichen Erörterungen, welche Risiken ein Bruch das GroKo-Aus für die Partei mit sich bringen würde, sei das Führungsduo pragmatisch geworden.
«Auch der linke Parteiflügel weiss, dass er nicht die Mehrheit hat», sagt Neugebauer. Statt mit dem Antrag auf Auflösung der GroKo zu scheitern, begnüge man sich nun damit, den Eindruck der Geschlossenheit zu vermitteln. «Man will sich die Blamage ersparen.»
Taktischer Rückzug der Parteilinken
Der Bundesvorsitzende der Juso, Kevin Kühnert, trommelte zuletzt an vorderster Front für den «Groxit». «In Gesprächen mit Fraktionsvertretern hat er aber festgestellt, dass die Bereitschaft gering ist, seinem harten Kurs zu folgen», so der Politologe.
Kühnert habe realisiert, dass er seinen Ton mässigen müsse, um in der Partei aufzurücken: «Was er dann tatsächlich tun wird, sei dahingestellt. In seinem Auftreten ist er zumindest zurückhaltender geworden.»
Und jetzt, weiter wie gehabt – obwohl mit der neuen Parteiführung die Zeichen auf Aufbruch gestellt werden sollten? Über Mindestlohn und Co. werde zwar durchaus engagiert diskutiert werden am Parteitag, glaubt der Kenner der deutschen Sozialdemokratie. Zur ganz grossen Neuordnung werde es aber nicht kommen.
Historische Krise der SPD
«Das ist das Dilemma an Parteitagen», sagt Neugebauer. Öffentlichkeitswirksam solle Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit demonstriert werden; gleichzeitig aber habe die SPD seit Jahren ein Problem: Viele fragten sich, wofür die Partei eigentlich stehe. Sinnbild davon: Rhetorik und Ziele von Parteibasis und Bundestagsfraktion klaffen teils deutlich auseinander.
«Deswegen wird der Parteitag eine Etappe auf dem Weg zur Profilbildung und der Erneuerung der SPD sein», schliesst der Politologe. Die Partei sei dermassen schlecht aufgestellt, dass ein «Wandel der innerparteilichen Kultur» unabdingbar sei. «Sie muss wieder ein Profil bilden, das sie als Alternative im Parteienwettbewerb deutlich machen kann.»