Bis gestern wehrten sich die westlichen Pharma-Nationen geschlossen und erfolgreich gegen jedwede Aussetzung des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe. Dank einer Allianz von USA und Europa, unterstützt von Brasilien und Japan, wurde am Patentschutz noch nicht einmal gerüttelt.
Doch nun haben die USA dieser Allianz ein jähes Ende bereitet. Angesichts der Corona-Katastrophe befürworteten nun auch die USA eine Patentschutz-Aussetzung, liess die Handelsbeauftragte von Präsident Joe Biden, Katherine Tai, in der Nacht auf heute verlauten.
Freude bei Kritikern – Entsetzen bei der Pharma
Damit hat sie rund um den Erdball für Begeisterung bei den Patentschutz-Kritikerinnen und -Kritikern gesorgt – und für Entsetzen bei der Pharmaindustrie. Diese fürchtet sich vor einem Paradigmenwechsel über die Corona-Pandemie hinaus: dass nämlich langfristig das schiere Prinzip des Patentschutzes aus humanitären Gründen aufgeweicht werden könnte.
Der Ball liegt nun bei der Welthandelsorganisation (WTO), der alle massgebenden Wirtschaftsnationen angehören. Bereits im vergangenen Oktober hatten die beiden WTO-Mitglieder Indien und Südafrika einen Antrag auf Patentschutz-Aussetzung gestellt, und zwar nicht nur für Impfstoffe, sondern auch für Tests, Medikamente und andere Corona-Produkte.
Im WTO-Abkommen über geistiges Eigentum, dem sogenannten Trips, gibt es zwar grundsätzlich die Möglichkeit für eine solche Aussetzung, doch das Ansinnen Indiens und Südafrikas blieb chancenlos.
USA bringen Europa in Erklärungsnot
Nun aber bringen die USA mit ihrem noch vagen Vorschlag betreffend Impfstoff-Patente Europa in Erklärungsnot. Plötzlich ist man gesprächsbereit – und im Dilemma.
Einerseits will man im Interesse der eigenen Pharmaindustrie am Patentschutz festhalten, anderseits die USA nicht vor den Kopf stossen. Entsprechend unverbindlich-wolkig fielen die ersten Reaktionen aus Brüssel, Berlin und anderen Hauptstädten aus.
Ob die politische Kehrtwende der USA zu einer Kehrtwende in der WTO führt, ist völlig offen. Für eine Patentschutz-Aussetzung im Trips-Abkommen reichen zwar theoretisch drei Viertel der Stimmen. Doch die 164 WTO-Staaten fällen Entscheide praktisch immer im Konsens, oft nach jahrelangem Ringen um eine Kompromisslösung.
So könnte als Resultat eine vorsichtige Patentschutz-Anpassung herauskommen, die zwar in der gegenwärtigen Pandemie bedeutungslos bleibt, langfristig aber doch am Patentschutz-Prinzip ritzt.