SRF News: Sie sind gerade von einem humanitären Einsatz über dem Mittelmeer zurückgekehrt. Wie war dort die Situation während der letzten Tage?
Fabio Zgraggen: Sie war – wie zu erwarten – sehr chaotisch. Es waren sehr viele Flüchtlinge auf dem Meer. Dementsprechend waren viele Rettungsaktionen im Gange, welche leider die private Initiative völlig zum Anschlag brachten. Besonders am Sonntag.
Trotzdem wurden mehrere tausend Menschen gerettet. Das klingt wie ein Widerspruch.
Das ist kein Widerspruch. Es ist so, dass viele Boote der Hilfsorganisationen nicht dafür ausgelegt sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Es geht vor allem um Erstrettungen. Man will sicherstellen, dass keine Menschen ertrinken müssen. Die Boote sind aber nicht dafür ausgelegt, Flüchtlinge ans Festland zu bringen. Sie wurden mit der Situation auf dem Mittelmeer alleine gelassen.
Das Uno-Hochkommisariat für Flüchtlinge (UNHCR) hat der Frontex vorgeworfen, sie habe Osterferien gemacht. Teilen Sie also diese Einschätzung?
Absolut, das kann man so sagen. Wir haben aus der Luft eine sehr gute Übersicht über die Situation – und darüber, welche Schiffe sich wo befinden. Und in diesem Jahr konnten wir beobachten, dass die Frontex-Schiffe nicht im Einsatzgebiet waren, was uns massiv beunruhigt hat.
In diesem Jahr konnten wir beobachten, dass die Frontex-Schiffe nicht im Einsatzgebiet waren, was uns massiv beunruhigt hat.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, das veranschaulicht, wie Sie arbeiten?
Ein sehr erschreckendes Beispiel war ein Seenotfall am Sonntag: Ein Schlauchboot mit etwa 150 Menschen an Bord wurde gesehen – weitab von jeglichen Rettungsschiffen. Wir sahen, dass dieses schnell an Luft verlor und bereits erste Menschen im Wasser waren. Wir informierten die Rettungskräfte, die sich mit Schnellbooten auf den Weg machten. Sie brauchten aber 40 Minuten, bis sie vor Ort waren. Zusätzlich machten wir einen libyschen Fischer auf die Situation aufmerksam und führten sein Schiff mit dem Flugzeug zur Stelle. Nichtsdestotrotz sind aber sieben Menschen gestorben.
Ein Schlauchboot mit etwa 150 Menschen an Bord wurde gesehen – weitab von Rettungsschiffen. Wir sahen, dass dieses schnell an Luft verlor und bereits erste Menschen im Wasser waren.
Die gute Seite ist, dass Sie Leben retten. Die Schattenseite ist, dass Sie vielleicht dem Schleppertum helfen.
Nein, das sehen wir nicht so. Menschen begeben sich nicht aufs Meer oder auf die Flucht, weil wir helfen. Das betonen wir immer wieder. Wir retten Menschen in Not – und das sollte immer die Priorität sein.
Menschen begeben sich nicht aufs Meer oder auf die Flucht, weil wir helfen.
Im letzten Jahr wollten Sie ursprünglich die ganze Saison fliegen, dann reichte aber das Geld nicht. Können Sie eine Bilanz ziehen vom letztjährigen Einsatz?
Im letzten Jahr konnten wir beweisen, was die Luftaufklärung leisten kann – und dass sie ein wichtiger Beitrag ist. Wir konnten Know-How gewinnen und unsere Organisation stärken. Zudem war es uns möglich mehr Geld zu sammeln, um in diesem Jahr für eine längere Periode fliegen zu können. Nichtsdestotrotz sind wir aber immer noch abhängig von Spendengeldern und können nur fliegen, wenn wir Unterstützung haben.
Jetzt fliegen Sie nahe der libyschen Küste: Birgt das nicht auch Gefahren?
Gewisse Gefahren bringt das Fliegen immer mit sich – egal wo man fliegt. Wir haben uns aber intensiv mit Berufspiloten und Küstenwachenpiloten auf die Einsätze vorbereitet. Aus militärischer Sicht ist die Gefahr sehr gering, weil wir vor allem über dem Mittelmeer fliegen – eigentlich weit weg von Libyen. Auch sind wir vorbereitet auf allfällige Notwasserungen, haben die entsprechende Ausrüstung und sind dafür trainiert.
Das Gespräch führte Christine Wanner