Darum geht es: Forscher und Forscherinnen der Universität Chicago schlagen Alarm: In Afghanistan würden Dutzende von archäologischen Stätten von Baggern aufgerissen, um sie besser plündern zu können. Das Land besitzt ein reiches Kulturerbe, das weit in die Vergangenheit zurückreicht. Tausende antiker Stätten warten darauf, entdeckt zu werden – es geht etwa um Klosteranlagen oder Karawansereien. Afghanistan lag auf der Seidenstrasse zwischen Iran und China. Dieses kulturelle Erbe der Menschheit sei jetzt bedroht, so die Archäologen aus Chicago.
Grosse Schäden: Wie gross der bereits angerichtete Schaden ist, lasse sich nicht genau beziffern, sagt Mirko Novák, Professor für Vorderasiatische Archäologie an der Universität Bern. Schliesslich habe man keine direkten Informationen, sondern sei vor allem auf die Auswertung von Satellitenaufnahmen angewiesen. Doch: «Die Schäden sind immens», ist Novák überzeugt. Schliesslich sei diese Region an der früheren Seidenstrasse kulturgeschichtlich «extrem bedeutsam, schon seit der Bronzezeit». Das antike Baktrien – die heutige Region um Balch im Norden Afghanistans – sei von herausragender geschichtlicher Bedeutung, so der Archäologe.
Wertvolle Schätze: Bei den Artefakten handelt es sich oftmals um Goldgegenstände, von denen schon in früheren Jahren – damals noch von Archäologen aus dem Ausland – in der Region viele Stücke gefunden worden waren. «Als antike Objekte sind sie mehr wert als der reine Materialwert», so Archäologe Novák. Allerdings sei der Handel mit antiken Artefakten meist verboten. Daher bestehe die Gefahr, dass die Goldgegenstände oder Goldmünzen in Afghanistan eingeschmolzen und als einfaches Gold verkauft würden. So aber gehen die Gegenstände für die archäologische Forschung für immer verloren.
Immenses Problem: Raubgrabungen seien in Afghanistan ein grosses Problem, weiss Novák. Es gebe dort unter den Taliban kein Antikengesetz mehr, das die Aktivitäten einschränke. Ausserdem: «Aufgrund des ideologischen Hintergrunds der Taliban werden die Leute regelrecht ermuntert, Raubgrabungen durchzuführen.» Zudem sei die materielle Not im Land immens, was viele einfache Leute dazu bringe, ihr Glück mit Grabungen an antiken Stätten zu versuchen.
Handel bekämpfen: Von aussen lasse sich nur wenig tun, um die Raubgrabungen im Norden Afghanistans einzudämmen, sagt der Archäologe. In ähnlichen Fällen sei eine Eindämmung nur möglich gewesen, wenn vor Ort Massnahmen dagegen ergriffen wurden. So habe man versucht, den dort lebenden Menschen klarzumachen, dass ein längerfristiges Einkommen für sie – etwa durch Kulturtourismus – nur möglich ist, wenn die Kulturstätten erhalten bleiben. «Das alles ist in Afghanistan derzeit nicht möglich», stellt Novák fest. Deshalb bleibe nur, die Zwischenhändler und Absatzmärkte bei uns und in Fernost so unter Druck zu setzen, dass der Handel nicht mehr rentiere.