Das Wappen von Kattowitz zeigt einen Eisenhammer. In der Region um die Stadt sind noch über ein Dutzend Kohlegruben aktiv. Kattowitz ist eine schwarze Stadt, die Stadt von Kohle und Stahl; die Stadt der Bergleute. Kattowitz hat aber auch einen neuen Konzertsaal. Es ist ein Prachtbau mit sensationeller Akustik. Erst vor einem Jahr wurde er eröffnet, die Konzerte sind immer ausverkauft.
Die Leute haben Jobs und Geld
«Wir brauchen einen solchen Ort in Kattowitz», sagt Marcin Nowak. Er ist Manager, Regionalchef des polnischen Verbandes der Unternehmensdienstleister und Kattowitzer. Kattowitz entwickle sich enorm. «Vor fünf Jahren stand ich mit amerikanischen Besuchern an einem Fenster mit Blick auf den riesigen, toten Marktplatz. Ich habe ihnen erklärt, wie der Platz belebt werden soll. Ihr Kommentar war: ‹Höllische Arbeit›.»
Nowak lacht, denn nur fünf Jahre später ist die Arbeit getan. Der Platz lädt zum Schlendern ein, an jeder Ecke öffnen Restaurants und Läden. Die Menschen können es sich leisten, hier einzukehren, sie haben Jobs und Geld. Obwohl von den einst 400'000 Kohlearbeitern nur 100'000 geblieben sind. Doch es haben sich neue Branchen angesiedelt: IT, Logistik, Call Center und andere Dienstleister.
Die Region sei erfolgreich, auch weil die Arbeitskultur der Leute hier gut sei, sagt Nowak. «Sie kennen die Schichtarbeit von ihren Vätern und Grossvätern, die noch in den Gruben arbeiteten, und sie arbeiten wie früher die Kumpel gern im Team.» Ein weiterer Vorteil für Arbeitgeber: Sie organisieren sich nicht mehr wie ihre Vorfahren in Gewerkschaften.«Das Leben und die Welt verändern sich, die Leute brauchen keine Gewerkschaften mehr», sagt der Manager.
Polen suchen Halt im Konservativen
«Früher kam der Fortschritt viel langsamer. Jetzt überwältigt er die Polen förmlich, so dass sie Halt im Konservativen suchen, in der Kirche», sagt Tomasz Tomczykiewicz. Er ist ein Spitzenkandidat in Kattowitz für die in Polen regierende Partei Bürgerplattform. Es ist sein erster Versuch einer Erklärung, warum seine Partei die Wahl verlieren wird, obwohl die Wirtschaft zu brummen scheint.
Tomczkykiewiczs trauriger Blick verrät, dass auch er nicht an der bevorstehenden Niederlage zweifelt. Vielleicht seien die Polen der regierenden Bürgerplattform nach acht Jahren auch einfach müde, so der zweite Erklärungsversuch. Keine andere Partei war in Polen je so lange an der Macht.
Ein dritter folgt auf die Frage, warum die national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit bei den Jungwählern derzeit so erfolgreich ist. «Junge Leute wählen aus Prinzip nicht diejenigen, die an der Macht sind», so Tomczykiewicz. Er hat viele Erklärungen, aber er erwähnt keine Fehler seiner Partei.
«Natürlich haben wir auch Fehler gemacht, zum Beispiel im Bergbau, da haben wir harte Reformen gescheut», sagt er immerhin. Er fordert seit Langem, dass man die unrentablen Gruben schliesst und die übrigen privatisiert. Doch das kam weder in Kattowitz noch in Warschau bei der Regierung gut an. Man schob das Problem hinaus. Jetzt dominiert es in Schlesien den Wahlkampf.
Ich möchte arbeiten, Geld verdienen und meinen Kindern schöne Sachen kaufen.
Keine Woche vergeht derzeit ohne Demonstration. Man demonstriert für diese oder jene Grube, vor allem aber gegen die Regierungspartei Bürgerplattform. Auch vor der Grube in Ruda Śląska. «Ich habe Familie, ich möchte arbeiten, Geld verdienen und meinen Kindern schöne Sachen kaufen. Darum demonstriere ich gegen die Regierung», sagt ein Demonstrant. Kein Bergmann wähle die Bürgerplattform.
«Seit Jahren versprechen sie, den Bergbau zu modernisieren, gemacht haben sie nichts. Sogar ein Hund ist mehr wert als Donald Tusk, der langjährige Chef der Bürgerplattform», meint ein anderer.
«Der Bergbau muss modernisiert werden. Es braucht Investitionen. Doch die Regierung hat die Bergleute vergessen, sie schweben im Nichts», sagt Grzegorz Tobiszowski, der Spitzenkandidat der Partei Recht und Gerechtigkeit. Er war an der Demonstration und hat den Bergleuten nach dem Mund geredet.
Orban ist das grosse Vorbild
Polen könne nicht schnell auf andere Energiequellen umstellen. «Wir können nicht alle Klimaauflagen der EU erfüllen. Die Umwelt ist wichtig, aber Polen hat eine spezifische Energieversorgung», betont Tobiszowski. Überhaupt sollte Polen eigenständiger politisieren, Interessenpolitik betreiben und endlich das neoliberale Lehrbuch beiseite legen, sagt der siegesgewisse Politiker.
Ein Vorbild ist für ihn in mancher Hinsicht der ungarische Premier Viktor Orban. «Er war der erste, der der EU signalisierte, dass die neoliberalen Tendenzen in den neuen Mitgliedsländern vielleicht keinen Sinn haben.»
National statt neoliberal. Das zieht nicht nur bei den Bergarbeitern und ihren Angehörigen, das zieht im ganzen Land. Jahrelang versprach die Bürgerplattform, Polen werde wie ein westeuropäisches Land. Doch ein prächtiger Konzertsaal täuscht nicht darüber hinweg, dass die Löhne in Polen immer noch viel tiefer sind und dass viele gut ausgebildete Leute auswandern.
Polen verändert sich schnell, doch der Weg ist weit - und mit dieser Regierung hat die Bevölkerung wohl die Geduld verloren.