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Wie in Polen mit Geschichte Politik gemacht wird
Aus Echo der Zeit vom 26.08.2021. Bild: SRF. Roman Fillinger
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Polen und der 2. Weltkrieg Das Blutvergiessen als Bühne für Heldentaten

Noch immer wird in Polen mit dem 2. Weltkrieg Politik gemacht – ein Museumsbesuch in Danzig zeigt dies eindrücklich.

«Dann kamen die Schutzpolizei und die SS», erzählt Alois Twardecki von dem Tag, als sie ihn seiner polnischen Mutter wegnahmen. Die Nazis wollten den Fünfjährigen germanisieren, ihn zu einem deutschen Jungen machen. Zehn Jahre lang, bis er 15 war, lebte Alois im Rheinland. Erst dann kam er zurück nach Polen. Und sorgte schon auf der Zugfahrt für einen Skandal.

Er sagte nämlich über einen polnischen Offizier: «Unsere deutschen Offiziere wären nie mit einer so dreckigen Uniform unterwegs.» Die Zugpassagiere hätten ihn lynchen wollen. Doch dann seien sie ganz still geworden, als sein Vater ihnen erklärte: «Das ist ein geraubter polnischer Junge.»

Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig
Legende: Im Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig ersetzte die nationalkonservative Regierung die ursprünglichen Ausstellungsmacher durch regierungsnahe Historiker. SRF/Roman Fillinger

Geschichten wie diese sind die Stärke des Danziger Museums. Die Ausstellung zoomt nahe ran ans Leben und Leiden der Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs. So wurde die Ausstellung konzipiert. Inzwischen hat die nationalkonservative Regierung jedoch eine neue Museumsleitung eingesetzt. Und die hat wichtige Akzente verschoben.

Wir wollen die wahren Dimensionen des polnischen Widerstands gegen die Nazis zeigen.
Autor: Grzegorz Berendt Direktor des Museums des Zweiten Weltkrieges

Vor einer Informationstafel über den polnischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten erklärt Grzegorz Berendt, der heutige Museumsdirektor: «Wir wollen die wahren Dimensionen des polnischen Widerstands gegen die Nazis zeigen.» Auf dieser Tafel sei nur von 30'000 Widerstandskämpfern die Rede gewesen. Von viel zu wenigen.

Der Vorwurf geht an Janusz Marszalec. Er war früher Vizedirektor des Museums und hat die Ausstellung konzipiert. «Wir zählten jene Leute, die tatsächlich mit der Waffe in der Hand gegen die Deutschen gekämpft hatten.»

Im Bild: Eine nachgebaute Strasse im Museum.
Legende: Die neuen Verantwortlichen veränderten die Ausstellung so, dass polnische Heldentaten während des Zweiten Weltkriegs deutlich mehr Gewicht erhalten. So sehr, dass die früheren Ausstellungsmacher dagegen geklagt haben. SRF/Roman Fillinger

Die heutigen Ausstellungsmacher zählten alle, die den Widerstand in Polen irgendwie unterstützten, und hätten die Zahl so auf 400'000 aufgeblasen. «Sieht natürlich cooler aus», sagt der ehemalige Vizedirektor. Die Zahl sei aber nicht vergleichbar mit den Zahlen, die für die Widerstandskämpfer anderer Länder präsentiert werden und vermittle deshalb ein falsches Bild.

In den Augen von Marszalec dient die grössere Zahl polnischer Widerstandskämpfer vor allem dazu, den von der nationalkonservativen Regierung propagierten Heldenmythos zu pflegen. «Nach dem Motto: Wir mögen beim Autobau oder beim technischen Fortschritt nicht die ersten sein, dafür sind wir Polen bei Heldentum und Patriotismus führend.»

Witold Pilecki
Legende: Schon vor dem Museum grüsst heute ein polnischer Held. Witold Pilecki, der sich ins KZ Auschwitz schmuggelte. SRF/Roman Fillinger

Marszalec ist überzeugt, dass die Änderungen im Museum des Zweiten Weltkriegs politisch motiviert sind – genauso wie der erzwungene Abgang von ihm und seinen Kollegen von der Gründungscrew des Museums vor vier Jahren.

Köpferollen im Kulturbereich

Klar sei dies teilweise eine politische Entscheidung gewesen, gibt der neue Direktor Berendt zu. Jede Regierung habe das Recht, die Leute auszuwählen, die staatliche Institutionen leiten. Was er nicht sagt: Die Nationalkonservativen haben gerade im Kulturbereich deutlich mehr Führungskräfte ausgetauscht als frühere polnische Regierungen.

Inzwischen stehen wir vor einer lebensgrossen Schwarzweiss-Fotografie: Eine Familie mit sechs Kindern. «Das ist die Ulma-Familie», sagt der heutige Museumsdirektor. «Polen, die Juden versteckten und dafür von den Deutschen ermordet wurden.»

Ulma-Familie in einer Abbildung
Legende: Die Ulma-Familie wird präsentiert unter dem Titel «Die Polen im Angesicht des Holocausts». SRF/Roman Fillinger

Eine eindrückliche Geschichte. Aber der Titel sei völlig irreführend, kritisiert der frühere Vizedirektor: «Die Polen im Angesicht des Holocausts» steht über dem Bild. Der Mythos, dass die meisten Polen Juden retteten, sei einer der Pfeiler der nationalkonservativen polnischen Geschichtspolitik. Es gab Heldentaten, doch die grosse Mehrheit der Polen versteckte keine Juden.

Marszalec und andere Mitglieder der früheren Museumsleitung haben die heutige Führungscrew des Danziger Museums verklagt: Die Änderungen an der Ausstellung verletzten ihr geistiges Eigentum. Es sei absurd, zu sagen, dass er in seinem Museum nichts ändern dürfe, entgegnet der heutige Direktor. Ein erstes Gerichtsurteil gibt ihm weitgehend recht.

Heute will das Museum Jugendliche und Kinder auf einen Krieg vorbereiten. Früher war die Botschaft eine völlig andere: Krieg ist eine Katastrophe.
Autor: Janusz Marszalec Früherer Vizedirektor des Museums des Zweiten Weltkrieges

Die zusätzlichen Ausstellungsstücke über polnische Helden dürfen bleiben – ausser dem Film, der vorläufig noch den martialischen Schlusston der Ausstellung setzt: «Die Unbesiegbaren» heisst er und dreht sich um die polnische Widerstandskraft: «Wir setzen uns durch, weil wir nicht um Freiheit bitten, sondern für sie kämpfen.»

Krieg als Bühne für Heldentaten. «Heute will das Museum Jugendliche und Kinder auf einen Krieg vorbereiten», klagt Ex-Vizedirektor Marszalec. «Früher war die Botschaft eine völlig andere: Krieg ist eine Katastrophe.»

Für diese Botschaft wollen er und seine Mitstreiter vor Gericht weiterkämpfen – und gegen das heroische Geschichtsbild der polnischen Regierung.

Echo der Zeit, 26.08.2021, 18 Uhr

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