Die Frage vor den polnischen Wahlen diesen Sonntag ist nicht, wer gewinnt. Die Frage ist, wie hoch die national-konservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gewinnt; und welche kleineren Parteien den Einzug ins Parlament schaffen. Davon wird abhängen, ob die PiS auch die nächsten vier Jahre regiert oder ob eine breite Koalition links der Mitte an die Macht kommt. Die Umfragen sagen: Vier weitere Jahre mit der PiS an der Regierung sind wahrscheinlicher.
So links wie nationalistisch
Wer den Erfolg der PiS verstehen will, muss das hergebrachte Links-Rechts-Schema zur Seite legen. Sozialpolitisch ist die PiS links. Sie hat, wie vor vier Jahren versprochen, gut 120 Franken Kindergeld pro Monat eingeführt, zahlt Pensionierten eine 13. Rente. Und sie verspricht mehr: mehr Geld für Bauern oder einen fast doppelt so hohen Mindestlohn. «Polen muss beim Sozialstaat zum Westen aufschliessen», sagt PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und holt damit die vielen Menschen vor allem im ländlichen und östlichen Polen ab, die den Eindruck haben, sie hätten vom rasanten Wachstum der letzten Jahren zu wenig profitiert.
So links die Sozialpolitik der PiS ist, so katholisch und nationalistisch sind ihre Wertvorstellungen. Familie? Das sind Vater, Mutter, Kinder und der Kirchenbesuch am Sonntag; Schwule, Lesben und Transgender zersetzen die polnische Gesellschaft. Die polnische Geschichte? Das ist eine lange Reihe tragischer Helden; wer nach polnischen Kollaborateuren zur Nazizeit fragt, ist ein Nestbeschmutzer. Die polnischen Gerichte? Das sind Orte, wo sich die kommunistischen Eliten von einst festgesetzt haben; wenn die Europäische Union die Bevormundung von Richterinnen und Richtern kritisiert, mischt sie sich ein in polnische Angelegenheiten, von denen sie nichts versteht. In den Grossstädten reagieren viele allergisch auf diese Politik, im Osten und auf dem Land sagen viele: Genau diese Haltung macht Polen aus.
Zu siegessicher am schönen Herbstsonntag?
Ihre Gegner treibt die PiS vor sich her. Ihr Parteichef Kaczynski setzt die Themen, über die debattiert wird. Und er orchestriert einen Wahlkampf, der jenen der PiS-Gegner in den Schatten stellt. Seit dem Frühsommer sind die wichtigsten Figuren der PiS pausenlos unterwegs. Bürgerpicknicks mit dem Premierminister im Park, Händeschütteln mit dem Präsidenten auf dem Marktplatz. Vor allem im ländlichen Polen macht diese Greifbarkeit der Parteispitzen Eindruck. Die PiS sei die einzige Partei, die den kleinen Leuten mit Respekt begegne, hört man da.
Die grösste Gefahr für die PiS ist ironischerweise ihr Erfolg: Die Dominanz der Partei ist so gross, dass sich viele ihrer Wählerinnen und Wähler am Sonntag sagen könnten: Auf eine Stimme mehr oder weniger kommt es nicht an, statt zu wählen geniesse ich lieber das voraussichtlich milde Herbstwetter. Das wäre die Voraussetzung, dass eine grosse Koalition der Oppositionsparteien PiS trotz allem von der Macht vertreiben könnte.