Monatelang schien man sich in der Österreichischen Volkspartei ÖVP über einen Punkt einig: Mit Herbert Kickl zusammen kann und wird man nicht regieren. Seit die Verhandlungen über eine Dreier-Koalition gescheitert sind, klingt es plötzlich ganz anders.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen trifft sich morgen Montag um 11 Uhr mit Herbert Kickl – Wahlsieger und Obmann der rechtsnationalen FPÖ. Falls der Präsident dem Rechtsausleger der österreichischen Politik den Auftrag zur Regierungsbildung gibt, könnte Österreich bald schon seine erste Rechts-Mitte-Regierung von FPÖ und ÖVP, genannt «Blau-Schwarz», haben.
Allerdings hatte Präsident Van der Bellen wiederholt gesagt, dass er Herbert Kickl für das Amt des Bundeskanzlers charakterlich für ungeeignet hält. Wird er morgen über seinen Schatten springen und sich dem Willen des Wahlvolks beugen? Dieses hatte die FPÖ Anfang Oktober mit knapp 30 Prozent der Stimmen erstmals zur stärksten Partei gewählt.
Temporärer Notnagel an der ÖVP-Spitze
Viel Kopfschütteln löst heute in Österreich die Planlosigkeit der ÖVP-Parteispitze aus. Obwohl dieses Szenario (Scheitern der Bildung einer Dreier-Koalition) stets möglich und planbar war, haben es die Parteistrategen offenbar versäumt, sich darauf vorzubereiten. Die Folge: Die Volkspartei konnte sich heute nicht auf einen Nachfolger für Kanzler Karl Nehammer an der Parteispitze festlegen. Stattdessen wurde ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker als temporärer Notnagel ernannt.
Stocker ist einer der schärfsten Kritiker von Herbert Kickl. So rief er einst durchs Parlament: «Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner.» Ausgerechnet dieser Stocker soll jetzt mit Herbert Kickl über eine gemeinsame Regierung verhandeln.
«Schnösel» und «Hirnis»
Aber auch für Kickl wären die Verhandlungen nicht ohne Tücken. Er hatte die ÖVP im Wahlkampf ständig «Volksverräter» genannt. Ihre Mitglieder wahlweise als «Schnösel» und «Hirnis». Den neuen ÖVP-Parteichef Christian Stocker hatte Kickl als «geistigen Einzeller» bezeichnet.
Herbert Kickl wäre als neuer Bundeskanzler wohl gesetzt. Eine solche blau-schwarze Regierung wäre eine Premiere für Österreich. Es wäre das erste Mal, dass die Republik von einem rechtsnationalen Bundeskanzler und einer rechtsnational dominierte Regierung geführt würde.
Allerdings: Die letzten beiden FPÖ-Regierungsbeteiligungen in den Jahren 2000 und 2017 endeten schmählich für die Blauen. 2005 spaltete sich die Partei nach schweren Streitereien und die FPÖ schied aus der Regierung aus. 2017 wurde ihr Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache aus der Regierung hinausgeworfen, als das sogenannte Ibiza-Video publik wurde, das die Käuflichkeit von Strache zeigte.