Es ist eine politische Ausnahmesituation in der V. Republik Frankreichs. Die Regierung ist abgesetzt und Emmanuel Macron hat seinen Joker, die Auflösung des Parlaments, bereits verspielt. Die Suche nach einem neuen Premierminister ist schwierig. Die Nationalversammlung ist in drei ähnlich grosse Lager aufgeteilt, die bisher eine Zusammenarbeit verweigert haben. Es gibt keine Mehrheit, weder für den Präsidenten noch in der Opposition. Solange diese Lager bestehen – hat keine Regierung wirklich Bestand.
Opferlamm Michel Barnier
Die Absetzung an sich ist also keine wirkliche Überraschung. Von Anfang an war klar, dass das Rassemblement National das Zünglein an der Waage spielen würde. Marine Le Pen hatte deutlich gesagt, sie unterstütze die Regierung Barnier, solange diese ihre Forderungen erfülle. Ansonsten werde sie abgesetzt.
Während Wochen tanzte der Premierminister Barnier nach Le Pens Pfeife und ist in verschiedenen Dossiers auf sie zugekommen. Aber in den letzten Wochen hat Marine Le Pen immer wieder neue Forderungen bezüglich des Budgets gestellt, bis Michel Barnier am Montag Grenzen gesetzt hat.
Strippenzieherin Marine Le Pen
Obwohl es eine Frage der Zeit war, bis Marine Le Pen den Stecker ziehen würde, ist fraglich, warum sie dies gerade jetzt getan hat. Ihre Partei hat aktuell viel Gewicht und ihre Position als «Influencerin» der Regierung war äusserst komfortabel. Es wird gemunkelt, dass der Prozess gegen sie und ihre Partei wegen Veruntreuung von EU-Geldern eine Rolle gespielt haben könnte. Denn ihr droht eine sofortige Unwählbarkeit bei einer Verurteilung Ende März. Eine Aussicht, die die Anwärterin auf die nächste Präsidentschaft Frankreichs sichtlich erschütterte.
Für Frankreich ist der Zeitpunkt der Zensur denkbar ungünstig. Das Land hat rekordhohe Schulden und ein Defizit von 6 Prozent des BIP. Inmitten der Debatte über ein ambitioniertes Sparprogramm von 60 Milliarden Euro steht Frankreich nun ohne Budget da. Nebst der politischen Instabilität führt dies auch zu einer wirtschaftlichen und finanziellen Unsicherheit.
Sündenbock Emmanuel Macron
Die Opposition sieht sich aber als Opfer von Emmanuel Macrons Paraden und wischt die möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaft weg. Ausserdem ist der französische Präsident für sie der Sündenbock, der die Staatsschulden in die Höhe getrieben hat. Tatsächlich läuft gerade eine parlamentarische Untersuchung, die klären soll, wieso die Finanzen Frankreichs so aus dem Ruder gelaufen sind.
Den Zorn der Opposition – und sogar bis in seine eigenen Reihen – hat Emmanuel Macron diesen Sommer mit der Auflösung des Parlaments ausgelöst. Und auf der linken Seite weiter geschürt durch seinen Umgang mit den Wahlresultaten. Macron hat sich diesen Sommer sehr lange Zeit genommen, einen Premierminister zu ernennen. Nur eine Option kam für ihn nie infrage: Der Forderung der linken Allianz nachgeben und eine Kohabitation mit einem linken Premierminister einzugehen.
Genau dies hätte er aber tun sollen. Diese Regierung wäre zwar bei der ersten Gelegenheit von Macrons Alliierten und dem Rassemblement National abgesetzt worden. Aber der Präsident wäre der legitimen Forderung nachgegangen und die Linke hätte von ihrem Rebellenkurs abweichen müssen.
Stattdessen hat der Präsident Frankreichs einen Premierminister aus dem rechten Lager ernannt. Gerade genug rechts, damit das Rassemblement National ihn drei Monate gewähren liess. Und nun steht der französische Präsident erneut vor der Frage: Wer kann Frankreich regieren?