- 14 Demonstranten verloren ein Auge, andere eine Hand oder Zähne.
- Der Einsatz von Schockgranaten und Gummigeschossen der französischen Polizei gegen Gelbwesten löst in Frankreich Betroffenheit aus.
- Die Polizeiaufsichtsbehörde ermittelt in 80 Fällen von mutmasslicher Polizeigewalt.
Der Hartgummi-Ball hat einen Durchmesser von 4 Zentimetern und steckt in einer Kartusche, die mit 300 Stundenkilometern aus kurzläufigen Waffen abgeschossen wird. Die sogenannten LBD (lanceur de balles de défense) töten nicht. Doch sie können verstümmeln. Ordnungshüter dürfen lediglich auf Arme, Beine oder den Torso zielen, nicht aber auf den Kopf.
Menschliche Dramen vermeiden
Dennoch erlitten in den letzten zwei Monaten seit Beginn der Gilet-Jaunes-Proteste mindestens 14 Personen schwerste Augenverletzungen. Andere liegen mit Schädel- und Kieferbrüchen im Spital. Bei der Polizei bedauert man die Vorfälle. «Das sind menschliche Dramen, die wir zu vermeiden suchen müssen», sagt Linda Kebbab von der Polizeigewerkschaft Unité SGP Police. Aber die Polizisten müssten sich auch gegen gewalttätige Krawallmacher verteidigen und ihr eigenes Leben schützen können.
«Dabei aber zu sagen, unsere Beamten würden absichtlich Leute verletzen, ist absurd», enerviert sich die Gewerkschaftsdelegierte. «Glauben Sie mir, würden sie das tun, dann hätten wir bei den 80'000 Polizisten, die jede Woche im Einsatz stehen, mehr als 14 ausgeschlagene Augen!» Auch bei der Polizei beklage man gut 1000 Verletzte. Eine Zahl, die das Innenministerium bislang nicht bestätigte.
Aussage gegen Aussage
Der Journalist David Dufresne dokumentiert und kontextualisiert die Verletzungen in den Reihen der Gelbwesten seit zwei Monaten akribisch: «Ich bin jetzt bei gut 350 signalisierten Fällen, die Hälfte davon sind schwer Verletzte. Und ich kann bezeugen, dass diese Menschen zu keiner Zeit
eine Gefahr für die Polizisten darstellten. Das behaupten die einfach!» 200 Anzeigen wegen Polizeigewalt wurden bereits eingereicht, in 80 Fällen ermittelt die französische Polizeiaufsichtsbehörde.
Dass Innenminister Christophe Castaner Beamte mit Gummigeschoss-Werfern ab heute mit Kameras ausrüsten lässt, ist für Dufresne Bestätigung: «Das ist der Beweis, dass wir den Finger auf einen wunden Punkt gelegt haben.» Allerdings sind die Beamten ausdrücklich nicht verpflichtet, im Fall einer Aggression die Kamera einzuschalten. Was zeigt, dass die Massnahme eher der Bestrafung dient, nicht der Prävention.
Schweizer Waffe am Pranger
Inzwischen fordern immer mehr Menschen ein Verbot der Gummigeschoss-Waffen. Die französische Polizei bezieht diese von der Schweizer Firma Brügger & Thomet. «Wir sind wohl das einzige Land Europas, das diese verharmlosend als nicht tödlich bezeichnete Waffe gegen Demonstranten einsetzt», sagt François Boulo, Anwalt und Sprecher der Gelbwesten der
Normandie. «Dass die Polizei gegen Randalierer vorgeht, scheint mir legitim. Aber es gibt vielleicht andere Möglichkeiten als Gummigeschosse. Wir sehen, dass es nie die Schläger sind, die verletzt werden.»
Es seien immer friedliche Demonstranten oder Unbeteiligte. Wie ein Jugendlicher in Strassburg, der von einem Gummigeschoss mitten ins Gesicht getroffen worden sei. Dabei sei er am Einkaufen gewesen, habe nicht an der Demonstration teilgenommen. «Wenn man die gravierenden Verletzungen sieht, welche diese Gummigeschosse verursachen, dann darf man diese Waffen einfach nicht mehr einsetzen.»